Wenn ich ganz ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass ich seit Wochen nach einem Thema für meine Kolumne suche. Das ist ziemlich untypisch für mich. Denn normalerweise ist es nicht der Mangel an Themen, der für große Zeitabschnitte zwischen zwei Texten sorgt, sondern die gute alte Faulheit.

Aber die Prokrastination ist es nicht, die für meine spätjährlichen Motivationsprobleme verantwortlich ist, sondern die Resignation. Gerade wenn es um meinen ‘Spezialbereich’, den Feminismus, geht. Es ist nicht so, dass er mich nicht mehr interessiert – ganz im Gegenteil – aber in letzter Zeit machen mich feministische Diskussionen müde. Oder sagen wir nicht eine gute theoretische Diskussion über den Feminismus, sondern die tagespolitischen Themen, die uns in den letzten Monaten um die Ohren fliegen.

Once upon a time in New York…

Zum Beispiel: Auch wenn ich das Video von Hollaback bejubele, das street harassment sichtbar macht, ist es vor allem resignierte Traurigkeit, die zurückbleibt. Traurigkeit darüber, dass die Verantwortlichen offensichtlich nicht ihren eigenen Rassismus reflektiert haben. Traurigkeit über Menschen, die trotz des beeindruckenden Videos immer noch versuchen, das Problem zu marginalisieren. Und schließlich Traurigkeit darüber, dass es den Scheiß immer noch gibt. Das Einzige, worüber man sich freuen kann, ist, dass es einen Diskurs gibt. Verzeiht, wenn mir dennoch nicht nach Party zu Mute ist. Denn zu oft muss man* sich darüber freuen, dass etwas bemerkt wird. Zu selten kann man* sich freuen, dass sich etwas bessert. Welcome to feminism!

Der Funke unterm Scheiterhaufen

Als wenn das alles nicht deprimierend genug wäre, reicht es nicht, dass man gegen das Patriarchat (um mal einen Kampfbegriff einzuwerfen und das Feminismusklischee zu bedienen – vorgeworfen wird es einem*r ja eh) aufbegehrt. Zu oft scheint man* gegen die Menschen in den eigenen Reihen zu kämpfen. Zu sehen ist dieses Problem zur Zeit bei den Diskussionen um Lena Dunham, der Erfinderin von Girls. Diese hat eine Autobiographie verfasst, die auf ihre typische, schonungslose Art ihr Leben beschreibt. Mit der üblichen Schamunempfindlichkeit Dunhams erfahren wir unter anderem davon, dass sie ihrer kleinen Schwester (als sie selbst sieben und die Schwester ein Jahr alt waren) in die Vagina schaut. Auch andere Beispiele sogenannter kindlicher ‘Doktorspiele’ werden beschrieben.

Via flickr, by Wally Gobetz

8416119593_db866ec030_zDie Erfinderin von Girls ist vor allem eines, nicht angepasst.

In typisch amerikanischer Manier war ein Skandal geboren. Konservative fühlten sich veranlasst von Kindesmissbrauch zu reden (und drehten Dunhams Alter ‘fälschlicherweise’ mal eben auf siebzehn hoch). In diesem Zusammenhang wird außerdem ihre Glaubhaftigkeit andere Szenen betreffend in Frage gestellt und überhaupt: Let’s burn the witch. Nichts Neues im Westen, wird jede*r sagen, der*die sich ein bisschen mit amerikanischen Medien auskennt.

Von Vergleichen, die keine sind

Doch warum, frage ich mich, müssen Feminist*inn*en auf diesen Wagen aufspringen? Warum müssen wir Dunham mit R. Kelly oder Bill Cosby vergleichen? Warum müssen wir ein Hashtag (#DropDunham) erfinden? Und warum habe ich bei dieser Diskussion das Gefühl, dass eine gute Portion Schadenfreude zwischen den Zeilen in verschiedenen Artikeln mitschwingt? Es geht hier nicht darum die Kritik an Dunham als Feministin niederzumachen. Es geht auch nicht darum eine Diskussion generell zu verbieten. Es geht darum zu fragen: Was ist die Intention hinter diesen Artikeln? Man* kann Dunham für die Art und Weise, wie sie über diese Ereignisse in ihrer Kindheit spricht, kritisieren. Ich kann das Unbehagen verstehen, das Menschen bei Dunhams Erzählungen empfinden, gerade wenn man* sich den Altersunterschied der beider Geschwister bewusst macht. Aber dennoch, sie war sieben! Ich habe nicht Psychologie studiert, aber es erscheint mir auf den ersten Blick normal, dass Kinder ihren Körper erkunden – allein und zusammen.

Fällt Dunham trotzdem aus der Reihe? Vielleicht. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass (1) ein Fachmensch das entscheiden kann (und nicht ich oder jemand anderes ohne den entsprechenden Hintergrund) und (2) es absolut sinnfrei ist von einem Kindesmissbrauch zu reden. Vergleiche mit berühmten Fällen, vor allem solchen wie R. Kelly und Bill Cosby, bringen dem Diskurs rein gar nichts. Denn in erster Linie sorgen sie dafür, dass das von diesen Männern verübte Leid relativiert wird, Leid für das sie zum Teil nicht einmal verurteilt wurden. Bei aller Berechtigung, die eine Diskussion von Dunhams Erzählungen hat, ist es gerade deswegen wichtig, diese beiden Diskurse zu trennen.

Finde ich gut, wie Dunham über ihre Erfahrungen spricht? Nicht wirklich. Genauso gehöre ich auch nicht zu der Gruppe Menschen, die sich als Fan ihrer Arbeit beschreibt. Und ich unterstelle der Frau, dass sie bewusst eine provozierende Sprache wählt, um von diesen Dingen zu sprechen, aber das ändert nichts daran, das sie sieben war als die Dinge passiert sind.

Der Ton macht die Musik

Aber unabhängig von dieser inhaltlichen Auseinandersetzung ist es die Art und Weise, wie hier diskutiert wird, die mir sauer aufstößt. Hier wird eine sich öffentlich dem Feminismus zuordnende Frau von Feminist*inn*en auseinander genommen. Und Dunham ist kein Einzelfall! Emma Watson bekennt sich öffentlich (im Zusammenhang mit He for She) zum Feminismus und appelliert an die Männer? “Sie ist eindimensional, sagt nichts Neues und kennt sich sowieso nicht mit der Theorie aus”. Beyoncé sampled eine feministische Rede und benennt sich selbst als Feministin? “Sie will doch nur Geld machenalles Vermarktung”. Taylor Swift findet Feminismus wichtig und will das der Begriff positiv und nicht negativ gesehen wird? “Wieder ein kleines weißes Mädchen, das keine Ahnung hat”. Und fangen wir gar nicht erst von Männern wie Joss Whedon und Joseph Gorden-Levitt an. “Wieder nur zwei weiße Männer, die sich in das Rampenlicht drängen”.

In jeder dieser Kritik steckt Wahrheit, über die gesprochen werden muss. Und ich persönlich stehe hinter vielen Kritikpunkten, vor allem bei Swift und Whedon. Jede dieser Personen muss sich selbst reflektieren und reflektiert werden. Aber betrachten wir das Gesamtbild. Stehen diese vier Frauen nicht in erster Linie für verschiedene Facetten des Feminismus? Ist es nicht gut, dass sie feministische Themen sichtbar machen? Ist es nicht unterstützenswert, dass sich Männer an die Seite des Feminismus stellen, um gemeinsam für eine bessere Welt zu kämpfen?

The big picture

Natürlich wird Beyoncé niemals eine bell hooks ersetzen. Und es überrascht mich überhaupt nicht, dass Emma Watson sich nicht detailliert mit Judith Butler auseinander gesetzt hat. Denn die Auseinandersetzung mit diesen Theoretiker*inn*en braucht Zeit. Nicht jede*r (vor allem wenn er*sie nicht studiert und sich so nicht ‘beruflich’ mit solchem Themen auseinander setzt) findet diese Zeit. Und nicht jede*r versteht Foucault oder Austin (zwei Wissenschaftler, die wichtige Vorarbeit für Butler geleistet haben) auf Anhieb und/oder ganz allein.

Via flickr, by Melissa Bewer

12395695334_68c73dc23e_zDas klingt für mich arg feministisch!

Das ist aber auch nicht die Aufgabe dieser Menschen. Hier handelt es sich um berühmte Personen, die den Grundgedanken des Feminismus in die Öffentlichkeit tragen. Und dafür bin ich dankbar. Sollten deswegen innerfeministische Debatten aufhören? Stellen sie auf diese Art und Weise den gesamten Feminismus dar? Niemals! Aber sie sind Teil des Feminismus. Will diese antisexistische Bewegung etwas erreichen, dann braucht sie den Mainstream! Denn nur wenn Antisexismus Mainstream wird, wird sich etwas ändern.

Ich möchte hier wie gesagt nicht die Diskussion selbst kritisieren. Ohne Diskussion wären wir jetzt nicht an dem Punkt, an dem wir heute sind. Aber müssen wir jedesmal diese Frauen und Männern verteufeln? Kann es nicht bei gesunder Skepsis bleiben? Können wir ihnen nicht die Möglichkeit geben, Fehler zu machen und aus diesen zu lernen? Müssen vor allem diese Frauen bei dem ersten Fehler oder der ersten unglücklichen Formulierung zerrissen werden?

Am Anfang war das Beginnen

Ich kann mich noch gut an mein erstes Jahr erinnern, in dem ich angefangen habe, mich ‚professionell‘ mit Feminismus auseinander zu setzen. Ich habe viel zugehört. Ich habe jeglichen Input verschlugen. Butler war für mich ein magisches Wunderwesen, das einem Einhorn gleich wunderschön anzusehen war, dass ich aber niemals so richtig fangen oder verstehen konnte. Doch gleichzeitig wurde ich politisch aktiv und habe über Feminismus gesprochen. Die Intention war immer die richtige und dennoch habe ich viel Mist gelabert. Weil ich bestimmtes Wissen noch nicht hatte. Weil ich nicht nur viel inhaltliches, sondern auch viel über Kommunikation(sstrategien) lernen musste. Und weil ich mir erst langsam meinen Privilegien als weiße Frau bewusst geworden bin – ein Thema, bei dem ich auch heute (und den Rest meines Lebens) noch viel Reflektionsarbeit leisten muss.

Via Wikipedia Commons, by Unknown

Annie_Kenney_and_Christabel_PankhurstNur durch Wachstum und Veränderung sind wir von damals bis heute gekommen.

Aus jedem falsch gesagten Wort, aus jeder vorschnellen Meinung und aus jedem Streitgespräch habe ich aber vor allem eines – gelernt. Und die (feministischen) Menschen in meinem Leben haben mir meine Fehler zugestanden. Nur dadurch konnte ich wachsen und für dieses Wachstum bin ich dankbar. Ist es zu viel verlangt, auch Personen der Öffentlichkeit dieses Wachstum zuzugestehen?

Zusammen ist man weniger allein

In einem großartigen Artikel des Time Magazine hat Jessica Bennett auf ein wichtiges Zitat von Ti-Grace Atkinson verwiesen. „Sisterhood is powerful. It kills. Mostly sisters.“ Können wir den Spieß nicht einfach umdrehen? Können wir nicht statt Hasskampagnen gegen Lena Dunham vielleicht wirklich über Kindesmissbrauch reden? Dunham ist wahrlich nicht perfekt! Aber sie ist auch nicht DER Feminismus. Sie ist nicht das Gesicht dieser Bewegung, genauso wenig wie Alice Schwarzer. Sie ist ein Teil dieser Bewegung, der wir uns alle verschrieben haben. Wir müssen alle wachsen und dafür brauchen wir Hilfe. Aber genauso brauche wir Unterstützung. Unterstützung gegen Sexist*inn*en, gegen street harassment und gegen konservative Affen, die Mist erzählen.

Dunham, Swift, Watson und Beyoncé sind vielleicht der Mainstream. Doch für jeden Menschen, der*die sich wegen ihnen für den Feminismus begeistern, bin ich dankbar. Und ich glaube an die Menschen. Ich glaube daran, dass sie sich informieren und so die Vielschichtigkeit dieser Bewegung erkennen. Dann werden sie Butler, hooks und all die großartigen Blogger*inn*en dieser Welt entdecken. Und vielleicht sind wir dann so weit, dass sie nie meine Resignation empfinden müssen.