Ich mag Städte. Sie konzentrieren viele lebensweltliche Aspekte auf einen begrenzten Raum und bieten, die „richtigen“ Verbindungen vorausgesetzt, zahlreiche Möglichkeiten der Entfaltung. Städte konfrontieren uns von Natur aus konservative Menschen immer wieder mit den verschiedensten Seiten unserer Gesellschaft und schaffen somit, im besten Fall, Kosmopoliten mit breitem Horizont. Die städtische Lebensweise ist DIE Zukunft des Menschen, denn mit über sieben Milliarden Menschen stehen die Chancen, dass wir zu einem rural geprägten Leben zurückkehren können, eher schlecht. Wir können uns augenscheinlich also nicht dagegen wehren, Städte bestimmen unser Leben. Und ich halte mich dabei durchaus für einen urbanen Menschen.

Ich hasse Berlin. Ich hasse Berlin auch deswegen, weil ich es eigentlich mögen will. Aber es lässt mich nicht. Berlin ist schlimm. Berlin ist laut. Berlin ist dreckig, überfüllt, pleite, hässlich, asozial, es gibt nur Stau und ich habe keinen ordentlichen Lebensmittelladen bei mir in der Nähe. Diese Stadt lässt mich zum Soziopathen werden: alle Menschen die sich mit mir in die U-Bahn zwängen hassend, gleite ich durch den Untergrund dieses Underground-Molochs, hyperindividualiserte Individuen betrachtend, die doch alle gleich aussehen, in der Hoffnung auf ein bisschen Ruhe in meiner Hinterhofwohnung, ein weiches Bett und ein kühles Bier. Und was erwartet mich dort? All das, aber kein Kochtopf, der groß genug für ein ordentliches Chili wäre. Manchmal möchte ich ein wenig weinen.

Und das nicht, weil das Chili zu scharf ist. Oder zu gut. Via lanier67

Unabhängig vom leicht psychotischen Ausfall oben: Berlin nervt. Berlin nervt durch den beständigen Hype um die Mode-Metropole, Weltstadt, das Hipster-Zentrum, das Arm-Aber-Sexy-Mekka der Generation Y. Diese Stadt wurde und wird noch immer hochgejubelt und für jede*n „Kreative*n“, der*die es sich leisten kann, ist klar, Berlin is the place to be working for the Durchbruch. Bullshit, denn je mehr Kreative es dort gibt, desto schwerer wird es, aufzufallen. Das geht dann nur noch dadurch, dass die eigenen Projekte immer schriller, immer extremer werden. Am Ende kommt es dann nur noch auf den Sieg im Wettbewerb und nicht auf die Selbstverwirklichung im Produkt an, womit die Kunst ad absurdum geführt wird.

Aber das Schlimme an Berlin ist nicht nur, dass junge Menschen diese Stadt wie ein Banner Stolz vor sich hertragen, nein, diese Stadt mach sich mittlerweile selbst zum Image. Das beste Beispiel dafür ist die allgegenwärtige Kampagne der Spreestadt, die bezeichnenderweise be Berlin heißt. Am Stadteingang prangt dort ein Plakat: „Sei Kiez, sei Kult, sei Berlin“. Natürlich hat man jede Menge Zeit, dieses Plakat zu bewundern, denn man steht ja gewohntermaßen im Stau am Ortseingang, vielen Dank. Von den Mülleimern grient einem „Sei picco, sei bello, sei Berlin“ entgegen. Als ob man Berlin tatsächlich sein könnte, als könne eine Stadt ein Lebensgefühl verkörpern! Verdammte Hacke, wer erst in eine bestimmte Stadt ziehen muss, in der Hoffnung, dass deren vermeintliche Coolheit auf einen abfärbt, hat wohl dringendere Probleme als die Gentrifizierung Kreuzbergs! Das fatale an dieser Illusion ist, dass Berlin selbst auf diese S-Bahn aufspringt, sie gleichsam perpetuiert (schönes Wort) und sie brechstangenhaft zu etablieren versucht. Aber in unserer heutigen Welt, die zumeist sensibilisiert ist für die allgegenwärtigen medialen Manipulationen von mediokren Amoralilsten aus der Werbebranche, funktioniert diese alles andere als subtile Vorgehensweise nicht mehr. Die Kampagne kam zu spät und hat ihren Zweck verfehlt.

Letztlich regt mich an dieser Stadt auf, dass ihre Bewohner und alle jene Berliner in der Diaspora, ihre Stadt für das Nonplusultra der Städte halten; Berlin und danach kommt nichts mehr. Recht haben sie auch, wenn sie nur über den Horizont in ihren Köpfen sprächen, der oft jenseits des Wannsees aufhört. Trotzdem: Berlin ist eine faszinierende Stadt, voller Geschichte, spürbar, erfahrbar. Berlin ist eine spannende Stadt, eine interessante Stadt, die für fast alle Interessen ein Angebot hat. Berlin ist, wenn man so will, Fluch und Segen zugleich. Zum Beispiel mag das Kulturangebot atemberaubend sein, aber es lädt nicht dazu ein, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, zu organisieren, zur machen. Es regt nicht dazu an, zu entdecken, selbst zu erfahren, denn von überall her wird man zugeschissen mit Möglichkeiten und dieser Orientierungsverlust in der kulturellen Abendgestaltung muss letztlich doch dazu führen, dass die Bewohner sich biedermeierartig verkriechen und ihr Zuhause zum Rettungsring im vollgeschweißten Meer der Kultdiskotheken wird. Im übrigen aber findet sich dieses Phänomen nicht nur in Berlin sondern auch in vielen anderen Großstädten.

Captain Party und ich sind einer Meinung: Wir finden das nicht so gut. Via corygrunk

Ich mag Städte. Aber zu Berlin verbindet mich eine sehr ausgeprägte Hassliebe. Denn sie verstößt fundamental gegen meine Philosophie in Bezug auf Städte, die Anne in einem anderen Zusammenhang so schön nach Perikles paraphrasiert hatte: „Die Menschen, nicht die Häuser, machen eine Stadt“. Und die Menschen in Berlin sind mir ein Graus.