Vorbemerkung: Das Thema “Hohe Gehälter” beschäftigt mich schon lange und ich habe eine sich bietende Gelegenheit genutzt, meine Gedanken dazu nieder zu schreiben. Der Komplexität dieses Themas wird auch mein Text nicht gerecht, aber ich habe versucht in lesbarer Kürze darzulegen, warum Millionengehälter keinen Sinn machen. Gerne können wir in den Kommentaren dazu zivilisiert (unter Betrachtung unserer Nettiquette) diskutieren und noch weitere Argumente für oder gegen hohe Gehälter finden.

Gehalt in Deutschland ist eine seltsame Sache. “Über Geld redet man nicht” und “Bei Geld hört die Freundschaft auf”, so lauten die landläufigen Weisheiten zu diesem Thema. Nicht unüblich sind zudem diverse Klauseln in Arbeitsverträgen, die das Diskutieren des eigenen Gehalts mit dem der Arbeitskolleg*innen verboten wird. Aber darum soll es heute nicht gehen, sondern um die Höhe von Gehältern und die Paradoxien, die sich daraus ergeben.

Wir alle kennen die sagenhaften Gehälter großer Konzernangestellter: VW-Chef Martin Winterkorn verdiente 2014 knapp 16 Millionen Euro, im gleichen Segment liegt SAP-Vorstandsvorsitzender Bill McDermot, um nur zwei Beispiele zu nennen. VW und SAP sind internationale Konzerne, aber auch der ach so hoch geschätzte deutsche Mittelstand (der sich selbst lieber in Kapitalien der Hybris sehen würde: DEUTSCHER MITTELSTAND) ist weniger bescheiden, als er sich oft gibt: Die Familien Reimann und Schwarz gehören zu den reichsten Deutschen. Familie Reimann hat eine Beteiligungsgesellschaft, zu welcher der Reinigungsmittelhersteller Reckit Benckiser (unter anderem Sagrotan, Calgon, Durex) gehört, die Schwarzens besitzen Lidl und Kaufland. Beide haben ein geschätztes Vermögen um die 30 Milliarden Euro – zugegeben, kein Gehalt im engeren Sinn, aber durch ihre Beteiligungen, Aktienpakete und sonstige Kapitalerträge bekommen diese Menschen durchaus ein hübsches Sümmchen.

Nur: Mit welcher Rechtfertigung eigentlich? Wie rechtfertigt man ein Gehalt von 14 Millionen Euro im Jahr?

Da solche hohen Zahlen immer relativ wenig Aussagen mal ein paar Beispiele: Meine Eltern haben für ihre Doppelhaushälfte in einem kleinen Dorf mit niedrigen Grundstückspreisen einen Kredit von knapp 500.000 Euro aufgenommen, einer halben Million. Ungefähr so viel zahlt man für eine sehr bequeme Eigentumswohnung in München oder Hamburg in guter Lage und mit vier Zimmern. Das heißt: ein Top-Verdiener im Vorstand eines Unternehmens könnte sich für sein Jahresgehalt von sagen wir mal fünf Millionen zehn Doppelhaushälften kaufen.

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Wie immer: Katzen zur  Beruhigung

Oder anders: Ein sehr gut verdienender junger Mensch bekommt im Jahr 50.000 ausgezahlt. Wenn er vierzig Jahre arbeitet, von 25 bis 65, verdient er vierzig mal 50.000 Euro, insgesamt also zwei Millionen Euro. In seinem gesamten Leben. Martin Winterkorn oder Bill McDermott (zum Beispiel) verdienen also das siebenfache bis achtfache Lebensgehalt(!) eines bereits gut verdienenden Angestellten. In einem Jahr.

Wie kann man diese Diskrepanz rechtfertigen?

Das Handelsblatt hat vor Jahren einen anonymen Interimsmanager zu Wort kommen lassen, der zusammengefasst folgendes sagte: Gute Manager, die ihr Geld wirklich wert seien, würden ein hohes Leistungspensum (von 10 Stunden oder mehr täglich) erarbeiten, hielten ihren Angestellten den Rücken frei, bringen den Laden voran, weil sie wissen, wem sie vertrauen können und trügen große Verantwortung für viel Geld und viele Jobs.

Daraus ergeben sich ein paar Fragen. Nummer eins: Wieviel Leistung rechtfertigt welches Gehalt? Und viel wichtiger: Wie bemisst man diese Leistung? Halten wir uns an die de-facto-Umsetzung von Leistung im Arbeitsleben, dann geht es um Arbeitsstunden. Der Acht-Stunden-Tag ist verbreiteter Standard, alles was darüber hinausgeht, ist also ein Zeichen von großer Leistungsbereitschaft. Aber jede*r, der mal in einem 40-Wochenstunden-Job geschuftet hat, weiß: Nach sechs Stunden lässt die Effizienz nach und der Rest ist nur noch Quälerei. Also, was bringt es, soviel zu arbeiten? Wieviel Leistung kann man da wirklich erbringen? Wieviel Zeit verbringt man am Folgetag damit, seine Fehler von gestern zu korrigieren?

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Wichtiger ist also die Effizienz. Die lässt sich aber leider nicht so schön in Arbeitsstunden abbilden, denn im besten Fall ist man fertig, bevor der Feierabend eingetreten ist. Schließlich würde niemand damit angeben, wie wenig man gearbeitet hat, sonder immer nur, wieviel. Masse statt Klasse, also. Das ist nur leider Blödsinn und keine Rechtfertigung für ein hohes Gehalt.

Frage Nummer Zwei: Gute Führungseigenschaften. Manager*innen wissen im besten Fall, wem sie Arbeit anvertrauen können und stellen sich vor ihre Mitarbeiter*innen, damit die in Ruhe arbeiten können. Das wünscht sich zwar jede*r Arbeitnehmer*in, sieht in der Realität aber anders aus. Denn es werden selten diejenigen befördert, die clever und kollegial arbeiten (und damit die Arbeitsbelastung insgesamt verringern), sondern diejenigen, die am längsten im Büro bleiben. Außerdem: Menschlich mit seinen Angestellten und Mitarbeiter*innen umzugehen ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Die im Managersprech als “soft skills” verklausulierte Fähigkeit, sich humanistisch und empathisch zu seinen Mitarbeitern zu verhalten, soll eine Begründung für hohes Gehalt sein. Nun gibt es zahlreiche Anekdoten über cholerische Vorstandsvorsitzende, inhumane Manager*innen und grausamen Leistungsdruck in Unternehmen. Legendär ist das patriarchale Verhalten von VW-Vorstand Ferdinand Piëch gegenüber seinen Untergebenen, die er auch als solche behandelte. Zudem gibt es genug Untersuchungen von Psycholog*innen, die so manchen Top-Unternehmer*innen Züge pathologischen Wahnsinns, vom Narzissmus bis zur Soziopathie, unterstellen. Werden also Psychopath*innen durch das Vergütungssystem und dem Leistungsfetisch der Wirtschaft bevorzugt? Auch hier lässt sich keine wirkliche Rechtfertigung für Millionengehälter finden. Eher im Gegenteil.

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Bleibt Frage Nummer Drei: Wieviel ist Verantwortung wert? Der Handelsblatt-Manager schreibt, in einem seiner Jobs sei er für acht Millionen Euro und die Arbeitsplätze von fünfzig Menschen verantwortlich gewesen. Winterkorn und McDermott sind in ihren jeweiligen Unternehmen für rund 600.000 Mitarbeiter*innen (VW) beziehungsweise rund 84.000 Angestellte (SAP) verantwortlich, wobei diese Zahlen ruhig noch verdrei- oder vervierfacht werden können, schließlich hängen da oft noch Familien und Zulieferer dran, die ebenfalls Menschen beschäftigen. Tatsächlich also eine ziemliche Verantwortung.

Stellen wir uns daher mal vor, jemand trüge Verantwortung für knapp 300 Milliarden Euro, mehrere hunderttausend Beschäftigte und hätte darüber hinaus noch das Recht zu bestimmen, wie achtzig Millionen Menschen leben. Würden wir wollen, das nur ein Mensch oder eine kleine Handvoll an Menschen diese Verantwortung trägt? Natürlich nicht! Wenn aber die Vorstandsvorsitzenden verschiedenster Konzerne so viel Verantwortung tragen (mittelbar sind die ja auch für bis zu einer Million Menschen verantwortlich), wieso werden diese Leute nicht demokratisch kontrolliert? Wieso gibt es für privatwirtschaftliche Konzerne, die so ein immenses Gewicht in einer Gesellschaft haben, so wenig Mitbestimmung für die Öffentlichkeit, die von den Entscheidungen der Handvoll Vorstandsmitglieder betroffen ist?

Das beste Argument für eine öffentliche Kontrolle bedeutender privatwirtschaftlicher Unternehmen ist die internationale Finanzkrise seit 2009. Die Pleite einer großen, us-amerikanischen Bank hat die gesamte Welt in die Krise gestürzt. Die Bank Lehman Brothers hat große Volumen ihres Geschäfts in eine Immobilienblase gesetzt, die kurzfristige Gewinne versprach, aber langfristig völlig unhaltbar war. Vielleicht wäre das ganze anders verlaufen, wenn sich die Verantwortungsträger*innen vor den Menschen hätten verantworten müssen, welche die Fehler der Vorstände mit ihrem Steuergeld ausbügeln mussten. Oder wenn es gar nicht so weit gekommen wäre, dass ein Unternehmen beziehungsweise eine Gruppe an Unternehmen “too big to fail” geworden sind.

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Überhaupt wirkt Verantwortung ja in beide Richtungen: Vorstände und Top-Manager*innen sind vielleicht für die Arbeitsplätze vieler tausend Menschen verantwortlich, aber auch für Handlungen, die direkt oder mittelbar zum Verlust dieser Arbeitsplätze führen. Wie aber die internationale Finanzkrise zeigt: Die Gewinne werden privatisiert, Verluste jedoch trägt die Gemeinschaft. Bleibt zudem die Frage: Wie viel Verantwortung fühlt ein Mensch, der nach einem Jahr Arbeit prinzipiell nie wieder ins Büro gehen müsste? Wenn ich nach zwei Jahren meinen Job verlieren würde, der mir zehn Millionen eingebracht hat, dann hätte ich bei Ausgaben von fünf Millionen pro Jahr immer noch zehn Millionen auf dem Konto – und bräuchte nie wieder arbeiten. Und meine Kinder auch nicht. Und deren Kinder auch nicht. Wem bin ich da noch verantwortlich?

Durch sinnlos-riesige Gehälter werden also Menschen belohnt, die keine Verantwortung mehr leisten müssen, weil sich sie einfach aus dem System herausziehen können. Wie macht das Sinn? Wie kann man das rechtfertigen?

Ganz einfach: Die Rechtfertigung funktioniert nur innerhalb des Systems. “Wir müssen soviel Geld bezahlen, weil die anderen das auch tun”, lautet da das Argument. Prinzipiell ist das nichts anderes, als dass ein Unternehmen von der berühmten Brücke springt, weil die anderen das auch tun. Oder anders: Angebot und Nachfrage bestimmen das Gehalt.  Das funktioniert als Rechtfertigung genau so lange, wie Angebot und Nachfrage das bestimmende Prinzip der gesamten Wirtschaft sind. Denn eine andere Rechtfertigung, ich hoffe, das ist klar geworden, gibt es nicht. Niemand kann so viel Leistung erbringen und Verantwortung tragen, dass sie oder er nach einem Jahr Arbeit nie wieder arbeiten müsste. Nur: dass wir unser Leben lang arbeiten, ist ja eigentlich eine Standarderwartung der Gesellschaft. Außer eben für diejenigen, die es sich – Verzeihung – leisten können.

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Also: Es gibt keinen Grund für Gehälter in Millionenhöhe. Keinen Grund, außer dem Wettbewerb. Aber dieser Wettbewerb fördert gleichsam Verhaltensweisen und Geschäftspraktiken, die für die Gesellschaft schädlich sind, die gegen bestimmte Grundannahmen zum menschlichen Beisammensein verstoßen. Folglich müssten wir, als Gesellschaft, den Wettbewerb eingrenzen und Gehälter in Millionenhöhe einschränken.

Oder wir müssen die Empfänger dieser Gehälter öffentlich zur Verantwortung ziehen. Denn die Privatisierung von Gewinnen bei gleichzeitiger Vergesellschaftung der Verluste kann keine vernünftige Grundlage für ein Wirtschaftssystem sein. Also müssen die Gewinne zum Teil ebenfalls der Gemeinschaft zugute kommen, sei es durch Steuern oder gesetzlich verordnete Spenden. Oder durch ein demokratisch legitimiertes Veto bei wichtigen Konzernentscheidungen. Zumindest aber eine Form öffentlicher Kontrolle derjenigen Unternehmen, die eine wichtige Bedeutung für die Gesellschaft haben, sei es durch ihre Dienstleistung oder ihre Größe.

Natürlich: Ob die obigen, sehr groben Vorschläge besser funktionieren als der Status quo, das weiß niemand. Aber lohnt es sich nicht, angesichts der verheerenden Auswirkungen der Belohnungsmechanismen des bestehenden Systems auf Umwelt und Gesellschaft, eine Alternative wenigstens zu versuchen?

Ich glaube, dass wir alle Menschen einen gewissen Gerechtigkeitssinn haben. Mein Gerechtigkeitssin sagt mir, dass es eben nicht fair ist, wenn jemand für ein Jahr (harter) Arbeit ein Gehalt bekommt, von dem diese Person dann sein Leben lang zehren kann.Zumindest nicht, wenn andere Menschen vielleicht härter, länger und mit größerer Verantwortung für sich selbst und andere arbeiten, am Ende des Berufslebens aber eine sinnlos kleine Rente erhalten. Übrigens genau so, wie der Rettungsassistent, den das Handelsblatt auf die Einlassungen des Top-Managers hat reagieren lassen.