Ich finde es ja immer wieder spannend in unserer globalisierten Welt zu beobachten, wie bestimmte Debatten von einem Land ins andere schwappen. Das ist ein Phänomen, das sich gerade beim Feminismus besonders häufig beobachten lässt. Warum das passiert, ist leicht nachzuvollziehen. Ob Abtreibung oder Rassismus, fast immer handelt es sich um Themen, die alle berühren, und gerade politische Bewegungen wie der Feminismus zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf universaler Ebene für eine gleichberechtigte Welt kämpfen wollen.

Doch heute soll es mal nicht um Feminismus gehen. Denn solche, nennen wir es  Debattenübersprünge, sind ja nicht auf bestimmte politische Themenfelder limitiert. Ich weiß nicht, wie es anderen Menschen da draußen geht, aber manchmal verfolgt man so einen amerikanischen Diskurs und denkt nur: ‘Puh, Gott sei Dank gibt es den Mist in Deutschland nicht’. Spätestens seitdem ich zwei radikalen Christinnen im Zug dabei zuhören musste, wie sie sich darüber unterhielten, dass man ‘Schwulen halt Zeit geben muss ihre Angst vor Frauen zu überwinden’ und sie ‘nur zu Gott finden müssen um geheilt zu werden’, möchte ich mich selber laut Ohrfeigen, wenn ich mich wieder bei diesem Gedanken ertappe. Denn die traurige Wahrheit ist: Menschen sind überall bescheuert nicht fähig sich zu informieren und kritisch zu denken.

Prominentes Beispiel: das Impfen (von Kindern).

Schon seit Jahren hört man immer wieder von diesem Thema. Hört von amerikanischen Eltern, die nicht Impfen wollen, weil das ihr Kind gefährden könnte. Halbwahrheiten oder eindeutige Lügen vermischen sich mit überbesorgten Erziehungsbestrebungen. Und die ganze Zeit beobachtet man* das und denkt sich nur: Ernsthaft? Doch leider klingen manche Argumente der Impfgegner auch hier mehr nach einer christlichen Sekte als nach informierter Kritik.

Das Grundrecht auf Gesundheit

Über das Impfen zu diskutieren sollte genauso überflüssig sein wie eine Debatte über sauberes Trinkwasser. Wir sollten alle froh sein, dass das Impfen erfunden/entdeckt/entwickelt wurde, denn dank einer der größten medizinischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts sterben weniger Menschen an den Masern, den Pocken oder erkranken an Kinderlähmung. Das ist doch eigentlich ne tolle Sache, möchte man* meinen.

Aber stattdessen vermischen sich Esoterik und schlechte Recherche zu einem uninformierten Einheitsbrei, der dafür sorgt, dass so viele Menschen in Berlin ihre Kinder nicht impfen haben lassen, dass es zu einer Masernepedemie gekommen ist. Das 19. Jahrhundert lässt grüßen.

Via flickr by Kevin

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Ich finde es ja gut, dass sich die Medizin in den letzten Jahrhunderten weiterentwickelt hat, sonst würden wir immer noch Aderlassen.

Nun gibt es viel kompetentere Menschen als mich zu erklären, wie Impfen funktioniert, warum es wichtig ist, dass mehr als 95 % aller Menschen geimpft sind und warum all diese vermeintlichen Gegenargumente WISSENSCHAFTLICHER Humbug sind.

Wer auch immer von den Impfgegner*inn*en bis hier gekommen ist und laut gen Bildschrim schreit: Aber da gab es diese Studie, die gezeigt hat, dass Impfen zu Autismus führen kann, dem*der sei gesagt: FALSCH! Diese Studie wurde mehrmals  wiederlegt und der Forscher hat sogar zugegeben, dass er sie mit Absicht gefälscht hat!

Noch nicht genug? Ich kann gerne weitermachen:

Es wurde nie bewiesen, dass Impfen wirklich hilft. FALSCH: es ist gesetzlich geregelt, dass nur Medikamente auf den Markt kommen, die ausreichend getestet wurden. Deutschland ist vor allem beim Thema Medizin (ähnlich wie bei Lebensmitteln) im internationalen Vergleich dafür bekannt hier besonders harte Gesetze zu haben.

Kinderkrankheiten sind doch harmlos und sowieso ist es besser, wenn man diese einfach als Kind bekommt. FALSCH: Das Einzige, was harmlos ist, ist der Name Kinderkrankheit, denn auch wenn Krankheiten wie Masern als Kind nicht so schlimm sind, können diese dennoch einen schrecklichen Verlauf nehmen – von Hirnhautentzündung bis zum Tod. Außerdem, was ist mit den (nicht geimpften) Erwachsen, die Kontakt mit den nicht geimpften Kindern haben? Sollen die sterben, weil irgend so ein Esoterikelternteil sein Kind nicht hat impfen lassen? Irgendwie wäre es doch nett, wenn die Menschen nicht nur an sich, sondern auch an ihre Mitmenschen denken könnten.

Ich könnte so ewig weitermachen. Denn – oh Überraschung – die Fakten sind auf der Seite der Impfbefürworter ohne wenn und aber. Für alle, die es mir nicht glauben oder das Internet-Troll-Kommentar-Nr.-1 loslassen wollen (‘Du schreibst doch nur nicht weiter auf, weil dir die Argumente fehlen’). Falsch gedacht: Hier ist eine sehr empfehlenswerte Seite von Fachmenschen des Roland-Koch-Institus, die all diese Argumente auseinander gedröselt haben.

Die Diskussion, die keine ist.

Ein Thema, das mich fast genauso wütend macht wie Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, ist aber der Aufschrei über die ‘Debattenkultur‘. Da fallen dann so Sachen wie: ‘Am wichtigsten ist eine Diskussion auf Augenhöhe’ oder ‘alle sind immer so aggressiv bei dem Thema’. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum wir da über die Augenhöhe diskutieren müssen. Wir müssen da sowieso nicht diskutieren, denn auf der einen Seite befinden sich Fakten und auf der anderen Menschen, die meinen es besser zu wissen GLAUBEN.

An dieser Stelle sei betont: es geht nicht darum Kritik oder kritische Diskussion grundsätzlich abzulehnen. Wir leben in einem demokratischen System, das Debatten braucht wie der Mensch die Luft zum Atmen. Es geht auch nicht darum kein Verständnis für die Menschen zu entwickeln, bei denen es wirklich zu einem der sehr, sehr seltenen Fälle von Impfkomplikationen gekommen ist. Natürlich muss man* immer sensibel mit seinem*r Gesprächspartner*in umgehen und auf diese Erfahrungen eingehen. Nebenwirkungen bei Behandlung oder Komplikationen, die zur Verschlimmerung des eigenen Gesundheitszustandes führen, sind immer tragisch. Aber so traurig das ist, leider sind Menschen nicht perfekt und auch die Medizin nicht. Wir können nur daran arbeiten, die Behandlungsmethoden zu verbessern und Mechanismen zu entwickeln,  Fehlern vorbeugen. Aus so einer Erfahrung heraus aber das ganze System abzulehnen ist vielleicht emotional verständlich, aber gesellschaftlich leider kurzsichtig.

Und es gibt einen Unterschied zwischen einer kritischen Auseinandersetzung mit einem Thema und der strukturellen, uninformierten Ablehnung desselben. Und dieser Unterschied ist existenziell. Hier nach einer Präsentation des Themas von ‘beiden Seiten’ zu schreien, wäre genauso als würden wir uns hinsetzten und darüber diskutieren ob Lesben jetzt im Dunkeln leuchten oder nicht. Die Fakten machen die Diskussion und wo keine Fakten sind, müssen wir auch nicht diskutieren.

Und wer jetzt mit dem ‘Argument’ kommt, dass es doch aber auch Ärzt*inn*en gibt, die sich gegen das Impfen aussprechen, dem möchte ich ein bisschen ins Gesicht lachen raten, sich einen andere*n Arzt  oder Ärztin zu suchen. Denn auch wenn ich die erste bin, die bei einer kleinen Erkältung nicht gleich Antibiotika verschrieben haben will und Naturmedizin nicht kategorisch ablehnt, sollte man* dennoch immer einen Blick fürs Gesamtbild haben. Die ach so verschriehene ‘Schulmedizin’ hat eine Berechtigung und rettet Leben. Wenn Ärzt*inn*en sich solchen Grundthemen wie Impfen verweigern, dann sind sie entweder Scharlatane und/oder nicht ganz richtig im Kopf nicht zu objektiven Einschätzungen fähig. So hart das leider klingt, wenn sogar die Homöopath*inn*en sich für das Impfen aussprechen, dann heißt das schon einiges.

Via flickr by r. nial bradshaw

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Meine Meinung zu Homöopathie ist ja auch eher negativ. Aber das gehört in einen anderen Artikel.

Trauriger Weise zeigt die ‘Diskussion’ um das Impfen aber auch, dass die Menschen der Medizin nicht mehr glauben. Auch hier gilt natürlich, dass es ist gut ist eine kritische Grundhaltung zu haben und nicht alles blind zu glauben, was der Arzt oder die Ärztin sagt. Aber allem zu misstrauen ist auch keine Lösung. Manchmal habe ich das Gefühl, dass gerade das Internet zu dieser Stimmung beiträgt. Heute ist es einfacher denn je an Wissen zu kommen. Und so meint jede*r ein*e Expert*in zu sein, nach den drei Wikipediaartikeln, die man* gestern gelesen hat.

Aber nur weil ich dieses eine Forum verfolge, dass sich mit dem Flugzeugbau beschäftigt, kann ich kein Flugzeug bauen; nur weil ich dieses Youtubevideo gesehen hab, das erklärt wie man Opernsänger*in wird, werde ich nicht wie ausgebildete*r Sänger*inn*en Arien schmettern; und nur weil ich drei Artikel von irgendwelchen Impfgegnern gelesen habe, kann ich keine Praxis aufmachen. Es gibt Gründe, warum Mediziner*inn*en jahrelang studieren, warum sie in ihrer Ausbildung verpflichtende Praxiserfahrungen sammeln müssen und warum sie danach immer noch nicht ausgelernt haben. Weil Medizin ein großes und komplexes Thema mit viel Verantwortung ist.

Schließlich muss noch ein Thema angesprochen werden. Die bösen großen Pharmakonzerne, die uns das Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Kapitalismuskritik finde ich grundsätzlich super. Denn dieses aggressive Wirtschaftssystem, in dem wir leben, schafft viel zu oft Wettbewerb wo keiner hinsollte. Sowieso ist eine kritische, politische Grundhaltung lobenswert. Und ja, das private ist politisch usw. Dennoch, Impfen ist kein Profit für die Konzerne. Denn chronisch Kranke würden den Konzernen mehr Geld einbringen als eine einzige Impfung (oder eine dreimalige Wiederholungsimpfung). Zusätzlich wird das Impfen eh von den Krankenkassen übernommen und stellt bei diesen einen der größten Posten dar. Argumente wie diese zeigen, dass hier – bei aller berechtigten Kapitalismuskritik – vermeintlich politische Argumente benutzt werden um emotionale Bedenken zu begründen. Und am Ende haben wir dann die Verschwörungstheorie.

Und wenn das nicht genug wäre

Diese Verschwörungstheoretiker*inn*en sind dann leider auch oft die ersten, die Zugewanderten die Schuld geben, wenn es zu einer Masernepedemie kommt, denn wo sollen die bösen Viren denn herkommen außer von den Ausländern (/sarcasm)? Als wäre diese Debatte nicht schon ekelig genug, wird sie so noch mit Rassismus und Fremdenhass gewürzt. Denn wären genug Menschen in Deutschland geimpft, dann ist es unerheblich, wo die Viren herkommen. Sie würden sich gar nicht erst ausbreiten. Menschen, die hierher kommen und keine Masernimpfung haben, haben sich höchstwahrscheinlich nicht aus Spaß dafür entschieden darauf zu verzichten, sondern weil sie oft nicht den Luxus oder die finanziellen Mittel haben, dieses Grundrecht auf Gesundheit wahrzunehmen!

Wir leben in einer Welt, in der wir in weniger als einem Tag nach New York reisen können, in der wir Telefone aus China bekommen und Gemüse aus Südamerika. Selbst wenn wir einen großen Zaun um Deutschland ziehen, würden die Viren einen Weg hierher finden. Viren haben immer einen Weg gefunden, schon vor Flugzeugen und Globalisierung. Ich sage nur Der schwarze Tod. Das Problem ist nicht, dass die Masern von irgendwem ‘hierher gebracht wurden’, das Problem ist, dass, obwohl es ein präventives wirksames Gegenmittel gab, Menschen sich geweigert haben dieses zu nehmen. Doch am Ende sind natürlich die anderen Schuld – das ist ja bekanntlich bequem.

Kommen wir also zu der beschriehenen Diskussion auf Augenhöhe: Impfen hat die Pocken ausgerottet und sorgt dafür, dass die Kindersterblichkeit zurückgegangen ist. Impfstoffe werden stetig getestet und verbessert und kommen nur auf den Markt, wenn ihre Wirksamkeit belegt ist. Wenn 95% der Bürger*inn*en in Deutschland geimpft sind, sorgen diese dafür, dass auch nicht geimpfte Menschen geschützt sind. Deswegen raten Ärzt*inn*en weltweit, auch homöopathische, zur Impfung. Kurzum, Impfen rettet Leben. Diskussion beendet.

Featured Image by Sanofi Pasteur