Direkt in meinem ersten Semester an der Uni Trier habe ich das Seminar „Methoden der Politikwissenschaft“ besucht. Im Grunde war das ein Kurs in Statistik für Politikwissenschaftler, der obendrein nicht sonderlich spannend war. Aber ohne diesen Kurs hätte ich nie gelernt, wie großartig und doch ziemlich nutzlos Statistiken sein können. Schlaumeier kommen jetzt wahrscheinlich mit dem wahrscheinlich fälschlich Winston Churchill zugetragenen Spruch „Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe“. Ja-ha, lustig, lustig, erwidere ich da schmerzhaft grinsend, aber so einfach ist das leider nicht. Statistiken müssen oft einfach nur ordentlich gelesen werden.

Als ich beispielsweise nach meinem Auslandsjahr in der Schweiz wieder zurück nach Deutschland zog, würde ich in der deutschen Migrationsstatistik als Zugezogener gelten, allerdings nicht als Ausländer, da ich ja den deutschen Pass besitze. Ich würde also zu den 8.370 Menschen gehören, die, wir bleiben im Beispielhaften, im ersten Halbjahr 2013 von der Schweiz nach Deutschland gezogen sind. Wer sich jetzt darüber freut, dass so viele Schweizerinnen und Schweizer in die BRD ziehen, die oder den muss ich leider enttäuschen: Von den 8.370 Menschen zählt das Statistische Bundesamt nur 2.681 als „Ausländer“, also diejenigen, die keinen deutschen Pass haben. Und dann stellt sich die Frage, wie viele davon wiederum überhaupt einen schweizerischen Pass besitzen.

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swiss mercenaries_vynilmeisterSchweizer Grenzwachen auf Patrouille (Symbolfoto)

Kontext ist bei Statistiken genauso wichtig. Zum Beispiel veröffentlichte Spiegel Online eine Meldung der Süddeutschen Zeitung, wonach 51 Prozent mehr Rumänen und Bulgaren im Jahr 2013 ALG II (Hartz IV) bezogen als 2012. Der oder die Populist*in freut sich, ist dies doch ein wunderbarer Beweis für die vielbeschworene „Armutseinwanderung“ aus dem europäischen Osten. Um wirksam mit dieser Zahl zu argumentieren muss nur der Rest verschwiegen werden. Dieser Rest besteht nämlich aus der Tatsache, dass unglaubliche 44.000 (in Worten vierundvierzigtausend) „Rumänen und Bulgaren“ in Deutschland ALG II beziehen. Eine wahnsinnig große Zahl angesichts von knapp 80,5 Millionen Einwohner*inne*n in Deutschland. Oder der ungefähr 3,14 Millionen Arbeitslosen im Februar 2014. Das wären 0,014 Prozent. Demnach entlarvt sich diese Meldung ziemlich schnell als Nicht-Nachricht, da der Anteil der „Rumänen und Bulgaren“ an den Arbeitslosen einen lächerlich geringen Teil aller Arbeitslosen ausmacht. Angesichts dieser Zahlen sollte auch der oder die paranoideste Migrationsphobiker*in argumentatorisch ins Straucheln geraten.

Rechtspopulisten und Krypto-Rassisten

Leider tingeln Sie aber noch immer und immer wieder durch die Talkshows und Kommentarspalten der deutschen Medien. Die Populist*inn*en und Xenophobiker*innen, die Krypto-Rassist*inn*en und Nationalist*inn*en, alle diejenigen, die Angst und Zwietracht schüren zwischen einem vermeintlichen „uns“ und einem undefinierten „denen“. Und das in letzter Zeit immer stärker, angespornt durch die Zustimmung, ausgedrückt in Wählerstimmen, die Rechtspopulisten in Frankreich, den Niederlanden oder eben der Schweiz erhalten. Zum Glück gibt es in Deutschland einen historisch bedingten Vorbehalt gegen diejenigen, welche zu stark gegen Menschen aus anderen Ländern hetzen. Aber je weiter wir uns von 1933 und den Jahren danach entfernen, desto eher wird darauf verwiesen, dass das doch alles so lang her sei und man gewissen Dinge ja wohl noch sagen dürfen wird. Was da als „Meinung“ verkauft wird, ist oft nichts weiter als Rassismus, egal ob reflektiert oder nicht.

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sihks holding hands_Fifth Business PhotographyWer würde diese lieben alten Menschen denn ausweisen wollen? Schaut, sie halten sogar Händchen!

Es ist zum wirklich zum Kotzen wie über Migration in Deutschland geredet wird. Da sind zunächst die „Ausländer“, ein Wort, mit dem allzu oft nur eine bestimmte Gruppe Menschen gemeint wird: nämlich meist aus Südeuropa, aus dem Balkan oder Osteuropa kommend. Fürchtet jemand, dass Franzosen oder Französinnen uns die Geschlechtspartner*innen ausspannen? Oder dass Schwed*inn*en uns die Arbeitsplätze wegnehmen? Dass Holländer*innen zu uns einwandern, nur um in der „sozialen Hängematte“ zu schaukeln? Nein, es sind Polen, Tschechen, Türken oder eben „Rumänen und Bulgaren“, gegen die sich die Empörung richtet.

Falsche Empörung

Empörung worüber eigentlich? Darüber, dass diese Menschen genug Mut aufbringen, ihre Familie, ihre Freunde, ihre Heimat zurücklassen, in der Hoffnung, in Deutschland eine bessere Zukunft zu haben als daheim? Dass sie in ihren durch Privatisierungen zerfressenen Ländern keine Perspektive mehr sehen, weil der Strukturwandel, durchgeführt, um endlich in die Europäische Union aufgenommen zu werden, alles zerstört hat, was einmal eine „Gesellschaft“ ausmachte? Allen Migrantinnen und Migranten gebührt zunächst eigentlich unser Respekt angesichts ihres Mutes den Schritt ins Ungewisse zu wagen und ein neues Leben in einer fremden Kultur zu beginnen.

Diese Mutigen erwartet in Deutschland nun ein vergiftetes Klima, in welchem ihnen vorgeworfen wird in die Sozialsysteme einzuwandern. Dass sie in ihrer Hoffnung gerade nach Deutschland kommen, sollte die hiesige Bevölkerung eigentlich eher Stolz machen, als Angst einzuflößen. Aber warum gibt es diese Angst? Weshalb wird gegen die Einwanderung gehetzt, obwohl der Fachkräftemangel und die niedrige Geburtenrate Migration vermutlich unabdingbar machen?

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Sharing The MealWir teilen. Immer. Überall. Jeden Tag.

Es ist wohl die Angst vor dem Teilen. Die Angst, dass der geschaffene Wohlstand auf Dauer wohl nicht allen zur Verfügung stehen kann. Ja, dass es sogar fatal für die ganze Menschheit und die Erde wäre, hätte jeder den Reichtum der westlichen post-industriellen Nationen. Natürlich macht es Angst, dass wir alle irgendwann „weniger“ haben könnten. Aber es gibt keine Rechtfertigung dafür, warum es Menschen aus Spanien, Serbien oder Senegal nicht auch so gut gehen soll, wie Menschen in Deutschland, Dänemark oder anderen reichen Demokratien (leider gibt es nicht genug reiche Staaten mit „D“ am Anfang. Schade um die Alliteration).

Immer derselbe Mist

Und schließlich profitieren wir als Bürger Deutschlands von der Armut anderer Menschen in entfernten Ländern. Dort wird unser Kakao geerntet (aber nicht verarbeitet), werden unsere Hosen genäht (aber nicht verkauft), unsere Smartphones zusammengebaut (aber nicht vermarktet). Ohne die systematische Ausbeutung der Armen in Bangladesch, Haiti oder Ghana müsste man uns hier in Deutschland wesentlich höhere Löhne zu zahlen, damit wir uns Essen, Kleidung oder Unterkunft leisten könnten. Und das würde die Unternehmen viel mehr Geld kosten, als sie zu zahlen bereit sind.

Mit Dank an Julia für die ungefragt erteilte Erlaubnis, ihr Bild zu nutzen.

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Shiny happy people. Sangen schon REM. (Eigene Darstellung)

Letztlich ist es also mal wieder das wirtschaftliche System, der Kapitalismus, der den Menschen gegen den Menschen aufhetzt. Wir dürfen dabei aber nie vergessen, dass wir diejenigen sind, die Teil dieses Systems sind. Dass dieses System nicht unabhängig von uns existiert. Dass wir nicht Opfer einer manipulierenden Macht sind. Wir müssen uns klar machen, dass wir Täter sind, wenn wir zulassen, dass Menschen wegen ihrer Herkunft verurteilt werden. Es ist schließlich „unsere“ Demokratie, in denen Schreihälse behaupten können, sie seien zwar keine Rassisten, aber man müsse schon darauf achten, dass nicht zu viele Fremde zu „uns“ kommen. Gegen diese Giftspritzen hilft keine Immunisierung, sondern nur ein Gegenmittel: Aus Toleranz. Offenheit. Vertrauen.