Ich behaupte: Alle Menschen, die  einmal ehrenamtlich gearbeitet haben oder zumindest im weitesten Sinne in diesem Bereich tätig waren, kennten  ihn. Den Abkürzungsfimmel. Kurz: Aküfi. Ich weiß nicht warum genau, aber gerade in diesem Bereich werden unheimlich viele Sachen abgekürzt. Mitarbeiter*innen werden zu MA’s, Teilnehmer*innen zu TN’s, Ferienspielaktionen sind FSA’s und so weiter. Das setzt sich natürlich gerade dort fort, wo Zeit bekanntlich Geld ist – in der Wirtschaft. Dort präferiert man so komplizierte Begriffe wie Supply Chain Management nicht nur fragwürdigerweise auf englisch (vermutlich weil es etwas „flashiger“ klingt), sondern kürzt sie auch mit SCM ab. Dass die meisten diese Begriffe eh kurz im Internet nachschlagen müssen und somit letztlich wieder Zeit (und Geld!) verloren geht, diese Rechnung scheinen die wenigsten zu machen.

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Die Rechnung ohne GrokoZum nachrechnen: ein riesiger Abakus.

Besonders Twitter, mit seiner scheinbar willkürlichen Begrenzung auf 140 Zeichen, ist eine Monstermaschine, die Abkürzungen nur so raushaut. Der Hashtag ist ja sowas wie die Buschtrommel Twitters und damit möglichst viele Leute den Hash taggen, muss dieser kurz aber prägnant sein. Eine Abkürzung hat sich im vergangenen Jahr besonders hervorgetan und wurde von der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ sogar zum Wort des Jahres gekürt: GroKo, also Große Koalition.

Wer sich erinnert: Statt ihre Wahlversprechen zusammen mit den Grünen und der Linken mehr oder weniger vollständig in einer hauchdünnen Mehrheit umzusetzen, entschloss sich die SPD nach der BuTaWahl 2013 lieber ein paar faule Kompromisse einzugehen, damit ihr eigenes Grab zu schaufeln und unsinnigerweise mit der CDU die 2005er Groko zu wiederholen. Klar, wahrscheinlich hatte die SPD Angst, dass eine Koa mit der Linken aufgrund der hauchdünnen Mehrheit und der Tendenz der Linken zum Ungehorsam (also der Vorwurf „mangelnder Fraktionsdisziplin“ (FraDi!) oder – Achtung Populismus! – dass diese Abgeordneten womöglich eher nach ihrem Gewissen abstimmen) bald auseinanderbrechen würde. Fraglos, die Große Koalition ist politisch stabiler, aber nicht unbedingt spannender.

Nicht zuletzt ist mein Problem mit dieser GroKo ein wenig prinzipieller. Denn SPD und CDU sind zwei Volksparteien, nicht nur nach ihrer eigenen Zuschreibung, sondern auch laut M. Schmidts „Wörterbuch zur Politik“. Dort heißt es unter anderem, dass sie „… eine ideologisch relativ diffuse, für verschiedene Wählergruppen offene politische Programmatik…” vertreten sowie eine „… Orientierung der materiellen und der symbolischen Parteipolitik am Ziel der Werbung einer möglichst großen Wählerschaft, bisweilen unter Hintanstellung der Parteiprogrammatik und traditioneller sachbezogener Ziele…“ (Schmidt 2004, S. 769f)* besäßen. Ergo wollen beide VoPas die meisten Wähler*innen ansprechen. Da mensch sich dazu am besten auf halben Weg trifft, sind beide Parteien im Prinzip auch die zwei konsensfähigsten Elemente des deutschen Parteiensystems. Das heißt aber auch, dass beide Parteien diejenigen sind, die am wenigsten politisch verändern werden. Denn sowohl SPD als auch CDU wollen ja niemanden verärgern, schließlich könnte das Wähler*innen kosten. Deshalb machen die VoPas auch immer nur kleine Schritte, um nur ja niemandem auf die Füße zu treten.

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Katzen gegen die GrokoDenn Politiker haben selten so Samtpfötchen wie Katzen. 

Trotz der beschriebenen Kompromissfähigkeit von CDU und SPD ist es aber so, dass beide Parteien aufgrund ihrer Status (mit langem “u”) miteinander konkurrieren müssen. Die GroKo eliminiert diese Situation auf künstliche Weise mit dem Koalitionsvertrag. Nun muss also die Konkurrenz miteinander arbeiten. Ergo versucht mensch den „politischen Gegner“ möglichst zu sabotieren oder mehr Medienpräsenz zu bekommen als dieser, um besser als die anderen dazustehen. Speziell vor einer Wahl. Wie sollen diese Menschen also ordentlich zusammenarbeiten, die wissen: in vier Jahren müssen wir einander fertig machen? Wie kann man ernsthaft erwarten, dass dabei eine gute Politik herauskommt? Denn im Zweifel konzentrieren sich die meisten Menschen doch lieber auf ihren persönlichen Vorteil als, ganz altruistisch, sich ihrer Verantwortung für das Große und Ganze bewusst zu sein.

Ausserdem: Konsens. Konsens ist gut und wichtig. Konsens im großen, politischen, demokratischen Sinne wird aber nie zu großen Veränderungen führen. Das ist zum einen gut, zum anderen schlecht. Denn Konsens verhindert im schlimmsten Fall, dass ein Problem tatsächlich gelöst wird, sondern bewirkt stattdessen, dass nur die Symptome behandelt werden. Denn wolle mensch ein Problem tatsächlich lösen, müsste mensch dabei eventuell einige grundlegende Dinge ändern, gegen deren Änderung wiederum diejenigen Menschen sich wehren, die vom besagten Problem vielleicht profitieren. Oder anders ausgedrückt: Ein Konsens versucht ein Omelett zu machen, ohne dabei Eier zu zerschlagen.

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"Eier, wir brauchen Eier!" - Oliver KahnIch wollte niemandem Hunger machen, deswegen habe ich auf Symbolfotos von extrem appetitlichen Omeletts verzichtet.

Im besten Fall gibt ein Konsens die Möglichkeit, die Verhältnisse grundlegend zu ändern, denn diese Änderung würde dann zumindest auf einer breiten, weil mehrheitlichen Basis stehen. Dafür müsste man sich aber der defizitären Aspekte der Verhältnisse bewusst sein und diese tatsächlich ändern wollen. In Zeiten wie unseren aber, profitieren viele Menschen nicht nur von den defizitären Aspekten des – ich sag’s jetzt mal – Kapitalismus, sondern haben gleichzeitig auch die Macht inne, diese Aspekte zu verändern. Wie also soll dieser Konsens aussehen, bei welchem die Profiteure des Schlechten das Schlechte beseitigen müssen? Nein, die Mächtigen werden immer nur beschwichtigen, nie ein Problem tatsächlich lösen, egal wie toll dieser Konsens nun ist. Solange Macht und Wohlstand aneinander gekoppelt sind, wird all das Schlechte, welches aus Armut und damit einem gesellschaftlichen Ungleichgewicht erwächst, nicht bekämpft werden werden können. Denn das Schlechte am Kapitalismus sitzt ziemlich tief. Das Schlechte am Kapitalismus ist ja leider der Kapitalismus selbst.

Dabei hätte eine GroKo die Möglichkeiten, etwas zu bewegen. Aber Koalitionen zwischen zwei VoPas, wie die von SPD und CDU, schaffen meist nicht die großen Sprünge, zu denen sie eigentlich fähig wären. Denn mit einer so großen Mehrheit ließen sich einige Dinge ändern. Dies würde aber eventuell bedeuten, einigen Profiteuren des Ungleichgewichts vor den Kopf zu stoßen. Damit, so die Befürchtung der VoPas, besteht aber die Gefahr des Stimmenverlustes bei der nächsten Wahl und somit das Ende der politischen Ämter vieler Politiker*innen. Oft haben diese Politiker*innen aber kaum noch etwas anderes als ihre politische Karriere, sie stehen somit bei einem Mandatsverlust mehr oder weniger vor demselben Abgrund vor dem auch alle anderen Menschen stehen die ihren Job verlieren. Nur, dass bei manchen Politiker*innen dieser Abgrund etwas sanfter gepolstert ist. Das sollte eigentlich wieder zu mehr Risikobereitschaft führen. Tut es aber nicht.

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cats don't careStattdessen sitzt mensch dann gerne mal in der Sonne. 

Halten wir also fest: Die GroKo ist nicht nur vom scheinheiligen Programm her (Rente mit 63, die keinem nützt, Mindestlohn der zu spät kommt, PKW-Maut NUR FÜR AUSLÄNDER!), sondern auch ganz strukturell eine GroKo From Hell. Das konnte übrigens auch Twitter nicht abkürzen. So wurde dann von einigen der fast ausladende Hashtag #GroKoFromHell geprägt. Allerdings nur selten benutzt, denn der nimmt zu viele Zeichen weg, in denen mensch mehr Abkürzungen hätte nutzen können. Ach. Twitter.

*Manfred G. Schmidt, Wörterbuch zur Politik, Stuttgart 2004. Hach, tut das mal wieder gut. Ich hätte nicht gedacht, Quellenangaben jemals zu vermissen.