Filme wie Frau Ella lassen mich oft am deutschen Kino zweifeln. Denn auch wenn mir bewusst ist, dass wir von englischsprachigen Filmen und damit mit den künstlerischen Standards der entsprechenden Kulturen dominiert werden, so frage ich mich dennoch in solchen Situationen: Können die Deutschen kein Kino mehr? Natürlich zeigt der Erfolg des Österreichers Michael Haneke, dass zumindest das europäische Kino im internationalen Vergleich bestehen kann, aber auch wenn Liebe nach wie vor zu einem der besten Filme gehört, die ich gesehen habe, kann er wahrlich nicht in die Kategorie ‚leicht und unterhaltsam‘ sortiert werden.

Scherbenpark von Bettina Blümner (Prinzessinnenbad), nach dem Roman von Alina Bronsky, wird mensch ebenfalls nicht neben den Unterhaltungsfilmen finden und dennoch macht er eine*n einfach glücklich. Denn nicht nur gelingt es dem Film schwierige Themen wie das Erwachsenwerden, familiäre Schicksalsschläge und das Aufwachsen in einem finanziell schwächeren Umfeld zu behandeln, sondern er schafft es dabei trotzdem ohne Probleme genauso die leichten Seiten des Lebens nicht zu vergessen. Dabei konzentriert sich das Werk eindeutig auf seine Hauptfigur Sascha (Jasna Fritzi Bauer), die Tochter einer immigrierten Russin. Sie wird von dem Gedanken beherrscht ihre Mutter zu rächen, indem sie ihren Stiefvater und Mörder der Mutter, Vadim, umbringt. Angestoßen wird die Handlung durch einen Zeitungsartikel über den Verbrecher, der diesen in einem reuevollen Licht erscheinen lässt. So trifft Sascha auf Volker (Ulrich Noethen), den Chefredakteur der Zeitung, bei dem sie letztendlich für einige Zeit unterkommt, nachdem sie wegen ihrer direkten, bissigen und sarkastischen Art bei ihrer Tante und in ihrem Wohnblock angeeckt ist.

Scherbenpark hat alles, was sich ein*e Filmliebhaber*in wünschen kann. Eine gute Story, tolle Dialoge und interessante Figuren. Getoppt wird das Gesamtpaket von einer überzeugenden Jungdarstellerin und einer guten Portion trockenem Humor, der mir an vielen Stellen die Tränen in die Augen getrieben hat.

Bemerkenswert bleibt dabei, dass der Film – aufgrund des Fokus auf seinen zentralen Charakter – eigentlich nur Sascha die Möglichkeit gibt eine große Entwicklung zu durchlaufen, es ihm aber dennoch gelingt, keine leeren und oberflächlichen Nebencharaktere zu liefern. Besonders deutlich wird dies bei Saschas Tante Mascha (Jana Lissovskaia) und dem Sohn Volkers, Felix (Max Hegewald). Denn während Sascha bei Volker wohnt und Felix kennen lernt, wird sehr schnell deutlich, dass dieser nur eins im Sinn hat – Sex. Mit dem nötigen Feingefühl, aber auch einem angenehmen Augenzwinkern illustriert Blümner die ersten manchmal verwirrenden, manchmal peinlichen Erfahrungen der menschlichen Sexualität ohne Felix komplett ins Lächerliche zu ziehen. Zwar gehen die meisten der Lacher auf sein amüsantes und leicht zu durchschauendes Verhalten, aber seine Figur bleibt sympathisch. Genauso bekommen wir kleine Einblicke in das Leben von Saschas Tante und ihre Schwierigkeiten mit dem Leben in Deutschland. Aber für alle Charaktere gilt, dass sie sensibel zu Leben erweckt wurden und es gelingt, vermeintlich klischeehafte Situation klischeelos zu behandeln.

Zusätzlich interessant ist, wie sehr der Film kommuniziert, dass Sascha selbst die Autorin ihres Lebens ist. Denn neben besagtem Zeitungsartikel ist der Versuch der Protagonistin einen Roman über ihre Mutter zu schreiben, ein kontinuierliches Erzählmoment im Film. Dieses Stilmittel ermöglicht uns  auf der einen Seite einen Einblick in den Verarbeitungsprozess ihres Traumas. Auf der anderen Seite sehen wir das Unglück stets durch ihre interpretatorische Brille. Außerdem sind sowohl Schreiben als auch Lesen immer wieder Handlungsauslöser innerhalb des Filmes. Das intensive Lesen Saschas steht symbolisch für die von ihr empfundene Abgrenzung in ihrer Wohnsiedlung. So wird beispielsweise einer ihrer Nachbarn erst dann interessant für sie, als sie erfährt, dass dieser selbst viel liest. Zusätzlich gelingt es Scherbenpark allein durch das Lesen zu kommunizieren, wer sich dem rauen Umfeld Saschas angepasst hat und wer weiterhin nicht aufhört sich mehr zu erträumen.

via flickr by Nina Matthews

scherbenpark

Die Botschaft des Films ist einfach positiv. Selbst wenn dein Leben in Scherben liegt, mit genug Kleber wird das schon wieder.

Ohne Zweifel sind das Drehbuch und die Regie von Scherbenpark mehr als überzeugend, aber den finalen Schliff gibt hier sicherlich die schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin Jasna Fritzi Bauer. Saschas ruppige und direkte Art nimmt mensch ihr zu jeder Zeit ab und auch in den dialogfreien Einstellungen geht die Emotion der Figur nicht verloren. Zu jeder Zeit wirkt Bauers Figur echt und menschlich und bei allem Selbstbewusstsein des Charakters gelingt es ihr zu kommunizieren, dass die fast schon brutale Stärke dieser Protagonistin manchmal eben doch nur ein Schutzschild vor den Grausamkeiten des Lebens ist. Dabei stellt Sascha für mich nach langer, langer Zeit einen der interessantesten Frauencharakter dar, die ich auf der Leinwand zu sehen bekam. In Zeiten, in denen die Präsenz von Frauen im Film so schlecht ist, wie seit Jahren nicht mehr, zeigt Scherbenpark, dass es auch anders gehen kann. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass neben der Regisseurin auch viele andere Entscheidungspositionen von Frauen besetzt waren – Ein Fakt der zwar nicht zwingend etwas über die Qualität eines Filmes aussagt, aber dennoch bis heute eine Ausnahme darstellt.

Der auf dem Max Ophüls Filmfestival prämierte und dort mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnete Film Scherbenpark ist ein Juwel des deutschen Kinos und macht Hunger auf mehr. Hier greifen Geschichte und Schauspiel, Musik und Regie problemlos ineinander und liefern uns einen gehaltvollen und trotzdem unterhaltsamen Film. Als Werk einer Nachwuchskünstlerin kann ich nur hoffen, dass er beispielhaft für ein junges deutsches Kino steht, dass uns auch in den nächsten Jahren weiter beeindrucken wird.