Vor nicht all zu lange Zeit – es war Sommer – saß ich auf einer Wiese. Ich nippte glücklich an meinem Bier und war im Begriff neue Menschen kennenzulernen. Hinter uns lag ein langer Tag und mensch sprach über das Wetter, die Getränke, was alle so studieren – die üblichen Gespräche von Menschen, die auf die ein oder andere Art Teil der Unilandschaft sind und sich noch nicht lange kennen. So drifteten die Gespräche langsam vor sich, denn letztendlich waren wir alle froh einfach nur sitzen zu können. Plötzlich begann ein emotionales Gespräch am anderen Ende der Gesellschaft, deren Inhalt die Gender Studies waren. Bevor ich mich versah, begann fast der ganze Tisch gegen die Geschlechterwissenschaften zu ragen: „Was für ein überflüssiges Zeug“, „Immer diese inkompetenten Wissenschaftlerinnen“ oder auch „Was bringt das überhaupt.“

Für mich blieb kurz die Zeit stehen, gefangen im Schock überlegte ich, was ich tun sollte. Natürlich hatte ich all die guten Argumente auf der Zunge, z.B. dass Geschlecht eine der wichtigsten Kategorien ist, die unser Leben bestimmt, dass Gender Studies nicht nur von Frauen betrieben wird oder auch, dass in der Vergangenheit hauptsächlich männliche Theorien oder Geschichte beforscht wurden und dass es deshalb wichtig ist auch den Blickwinkel der anderen 50 % unserer Bevölkerung in den Fokus zu nehmen. Argumente, die jede*r Feminist*in kennt und die so offensichtlich sind, dass er*sie erschöpft seufzt, wenn er*sie sie wieder einmal zum Besten geben muss.

By squirlaraptor via flickr

feminism

Der Moment in dem mensch wieder ganz von vorne anfangen muss…

Aber mir geht es nicht um die Argumente. Die Fakten sind auf der Seite des Feminismus. Und Geschlechterforschung ist nicht ohne Grund seit Jahrzehnten eine etablierte und anerkannte Wissenschaft. Mir geht es um mein Zögern und den Fakt, dass ich letztendlich meinen Mund hielt, bis ich später am Abend eine Möglichkeit hatte mit einzelnen Personen zu sprechen. Mir geht es darum, dass mensch als Feminist*in nie Feierabend hat.

Letztendlich war es Angst, die mich von einer Reaktion abhielt. Angst vor einer emotionalen Menge, die sich in ihrer Abneigung vereint. Eine Situation, in der ich nicht gewinnen kann. Denn egal was ich sage, es wird mit derailing, maskulinistischen Äußerungen oder Biologismus geantwortet. Es ist aber auch eine Situation, in der mir bei der ersten Gelegenheit – wenn es etwas lauter wird oder eine hitzige Diskussion entsteht – entgegen geworfen wird, dass ich so emotional bin und ich so nie etwas erreichen werden. „Wenn du so radikal bist, dann wird dir niemand zuhören“, würde noch ein freundlicher Ausruf sein.

Abgesehen davon, dass es oft die Kritiker/Antifeminist*innen/Sexist*innen sind, die mit der Emotionalität starten, bin ich es leid mich rechtfertigen zu müssen. Ich bin es leid, dass Enthusiasmus und Leidenschaft für die Gleichberechtigung aller als etwas Negatives dargestellt wird. Besonders wenn der Feminismus für die existenzielle Gleichberechtigung aller kämpft. Wir reden hier nicht über Luxusprobleme, wir reden über die Tatsache, dass Frauen* immer noch in einer schrecklich hohen Zahl Opfer von sexueller Gewalt sind. Dass die Angst vor einer Vergewaltigung (und in vielen Fälle dieser gewaltvolle Akt selbst) zum Alltag einer jeden Frau* gehört. Dass noch immer nicht gleiche Arbeit mir gleicher Bezahlung belohnt wird. Dass Frauen* in viel zu vielen Ländern dieser Welt nach wie vor das existenzielle Recht auf ihren Körper erkämpfen müssen. Und dass aggressive Konzepte von ‚richtiger‘ Männlichkeit Frauen* wie Männern* schaden, sei es weil sie nicht heterosexuell sind oder einfach nur, weil sie Elternzeit nehmen wollen.

Auch wenn sie sich in ihrer Rede auf reproductive rights konzentriert, kann mensch es nicht besser für den gesamten Feminismus zusammenfassen: “I’m really fucking angry. […] The real question is: why aren’t you?”

Wen bitteschön macht das nicht wütend? Und warum muss ich (oder jede*r andere Feminist*in) das noch jemandem erklären? Warum soll ich meinen Ärger verstecken, der mich doch jeden Tag antreibt. Der mich zu recht überkommt, wenn Blurred Lines im Radio läuft oder wieder mal auf freiwillige Quoten zurückgerudert wird, obwohl diese seit Jahrzehnten existieren und rein gar nichts bringen. Es ist nicht Hass, der mich und andere in solchen Situationen antreibt, es ist die Wut über Ungerechtigkeit und das ist ein entscheidender Unterschied.

Wie wahrscheinlich jede*r in diesem Feld hatte ich eine Phase, in der ich von jedem*r erhört werden wollte. In der ich vor keiner Diskussion zurückschreckte, egal wie hoffnungslos sie war und in der ich um jeden Preis nicht als ‚radikal‘ bezeichnet werden wollte. Viele fruchtbare Gespräche entstanden, aber auf jede dieser horizonterweiternden Diskussionen kamen gefühlte zehn Unterhaltungen, die im Frust endeten. Frust, weil mein Gegenüber mir nicht zuhörte, weil ich tausendmal auf ein Argument/eine Studie/eine*n Theoretiker*in verweisen konnte und mir trotzdem immer und immer wieder der gleiche Satz in unterschiedlichen Variationen entgegen schallten. Frust, weil sie darin endeten, dass mir Adjektive wie ‚emotional‘ oder ‚radikal‘ an den Kopf geworfen wurden. Nicht selten stand ich mit dem Rücken zur Wand, wenn mehrere Leute gleichzeitig diese Muster befolgten.

Was ist die Lektion dieser Geschichte?

Die offensichtliche wird sein: „Wähle deine Kämpfe mit Bedacht“, denn es ist nichts Schlimmes dabei, sich einzugestehen, dass es der falsche Zeitpunkt ist um zu seiner*ihrer Überzeugung zu stehen. Aber dennoch bleibt ein schaler Geschmack zurück, denn sagt mensch nichts, dann lässt er*sie den/die Sexismus/Biologismus/Ungerechtigkeit unkommentiert. Sagt er*sie aber etwas, dann befindet mensch sich automatisch im Zentrum von aggressiven Debatten, die in stereotypen Zuschreibungen enden und einer*m nicht selten den Abend verderben können.

Manch eine*r wird vielleicht auch eine endgültige Niederlage in solchen Situationen sehen. Warum mache ich das eigentlich, ist ein Gedanke der mir leider viel zu oft kommt. Doch die einzige Antwort, die ich immer wieder finde, ist: Weil ich nicht anders kann. Denn wenn erst die verschleiernde Brille von den Augen verschwindet und mensch die soziale Konstruktion unseres Seins erfasst, dann sieht er*sie die Verbindungen überall. Als würde mensch die Matrix verlassen, wird er*sie mit der harschen und kalten Realität konfrontiert. Ist dieser Punkt erreicht, gibt es kein Zurück mehr – die Türen in das Aber-eigentlich-sind-wir-doch-alle-gleichberechtigt-Lala-Land sind endgültig verschlossen.

By S. Diddy via flickr

red pill

Hast du die rote Pille genommen, gibt es kein zurück mehr.

Die eigentliche Lektion ist aber, dass der Kampf nie aufhört. Dass es zwar Situationen geben wird, in denen mensch sich in der glücklichen feministischen Blase befindet, in der nicht um solch existenzielle Punkte gekämpft werden muss. Dass aber mit jeder neuen sozialen Situation das feministische Outing droht, welches mensch zwar stolz vollzieht, aber trotzdem zu oft im Frust endet.

Das sind Momente in denen mensch stark sein muss. In denen es gilt die Situation zu überstehen und weiter zu atmen. Das sind aber auch Momente, in denen mensch Verbündete braucht. In denen ich jedes Mal dankbar bin, wenn sich ein vernünftiger Mensch einschalten – egal ob er*sie meiner Meinung ist oder nicht– um darauf hinzuweisen, dass es eine unfaire Gesprächssituation ist, wenn fünf Menschen eine*n gegen die Wand ‚argumentieren‘.

Es sind Zeiten, in denen eine Sache einem*r am meisten Kraft gibt: Ein Mensch nach dem anderen. Jedes fruchtbare Gespräch, jeder geteilte Artikel, jede*r Freund*in, die zu einem*r kommt und sagt „Danke, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast“, wird dazu beitragen, dass diese Situationen weniger werden. Der Wandel wird kommen und auch wenn ich ihn vielleicht nicht mehr miterleben werde, denn gesellschaftliche Veränderungen passieren langsam. Aber jeder Mensch, der diese immer und immer wiederholten Argumente hört, wird etwas bewegen. Bis ich letztendlich nicht mehr allein auf der Wiese sitze und die Person neben mir sagt: „Was für ein unreflektierter Bullshit“, damit ich sagen kann „Recht hast du, Geschlecht ist eine der wichtigsten Kategorien…“.