(Featured Image by Oolong via Flickr.com)

Seltsamerweise beschleicht mich bisweilen der Eindruck, als Arbeitsloser hätte ich wesentlich mehr zu tun als noch als Student. Ständige Besuche im Jobcenter, Recherche nach mehr oder weniger geeigneten Arbeitsstellen, Bewerbungen schreiben, drucken und abschicken, nicht zuletzt die – in meinem Fall – über ganz Deutschland verteilten Bewerbungsgespräche fressen Zeit und Motivation. Ich hoffe also, ihr wundert euch nicht, ob es den Aufreger nun noch gibt oder nicht (eine berechtigte Frage angesichts der Tatsache, dass wohl knapp 95% der Blogs in Deutschland nach knapp sechs Monaten meist tot sind). Der Aufreger der Woche lebt, aber manchmal muss ich mein Zeitbudget in andere Dinge investieren.

Neben vielen, anderen Dingen investieren zahlreiche, vor allem junge, Menschen im Sommer ihre Zeit in Musikfestivals. Ohnehin schon stark verwurzelt in Jugendkulturen, kulminieren viele Festivals dabei zu Epizentren bestimmter musikalischer Szenen. Voranging im Bereich Rock und Pop spielen da die größten Festivals wie Rock am Ring oder Hurricane, womit diese wohl am massenkompatibelsten sind. Dann gibt es noch dieses riesige Festival namens „Wacken“, einmal im Jahr ein Ort des Schreckens: Lange Haare, schwarze Band-T-Shirts, Nietenapplikationen. Metaller soweit das Auge blickt und wohin auch immer der Wind den Gestank verfilzter Bärte und mäßig shampoonierter Haare trägt. Wer es noch dunkler mag, der verzieht sich zu Pfingsten nach Leipzig zum Wave-Gotik-Treffen, wohl in der Hoffnung, durch soviel Leder, Samt und allgemein viel Schwarz einem Sonnenbrand zu entgehen (wohl denen, welche um meinen Hang zur Ironie wissen)

Country Joe and the Fish auf der Tochter der Mutter aller Musikfestivals: Woodstock ’69

Oder eben in die Niederlande. Dort fand dieses Jahr zum ersten Mal das „Best Kept Secret“-Festival statt, welches sich auch eher in der Richtung Rock und Pop verorten lässt und wo ich ganz nebenbei Gast sein durfte. Gänzlich unoffiziell und so zu meinem eigenen Vergnügen. Dazu muss ich sagen, dass ich nur einmal auf dem Southside war, also Festivalerfahrung habe, diese aber eher ausbaubar ist. Aber spätestens nach meiner Erfahrung in Holland frage ich mich: Will ich das überhaupt?

Denn soviel ist mir bewusst geworden: Ich verstehe Festivals nicht so ganz. Mir entzieht sich gänzlich die Faszination des Campings auf einem Campingsplatz, gefüllt mit lauter betrunkenen und daher sehr lauten jungen Menschen, wenn nicht gar Jugendlichen. Mir entgleitet der Spaß beim Zuhören von Musik, wenn ich ein Konzert nicht zu Ende hören kann, um beim nachfolgenden Konzert noch einen guten Platz zu ergattern. Auch kann ich Musik nur schwer wertschätzen, wenn sie aus zwar lauten, aber klirrenden und polternden Boxen kommt. Zudem ist die Bewunderung, die*den Künstler*in bzw. die Künstler*innengruppe einmal aus der Nähe zu sehen relativ gering, wenn vor der Bühne kein Platz ist und mensch lediglich eine daumengroße Figur, seinem Instrument sexuelle Avancen machend, wahrnehmen kann, da erst knapp sechzig Meter hinter der Bühne die Sicht- und Atmungsverhältnisse ein ertragbares Niveau erreicht haben. Schließlich ist der Genuss unbeschwerter Festivaltage relativ unmöglich, wenn mensch nicht einmal in Ruhe scheißen kann und die Duschen kalt sind.

Wo also besteht der Reiz an Festivals? Klar, oft ist es die Gelegenheit, viele geliebte Bands und Musiker*innen auf einmal zu sehen (wenn auch mit den erwähnten Nachteilen). Für viele steht auch der „Spaß“ mit anderen Menschen (meist Bekannte) im Vordergrund, vom gemeinsamen Grillen bis hin zum eventuellen Sex. Und sonst? Oft ist es nass, wenn nicht, dann zu heiß, überall stinkt’s nach Pipi (weil Männer im Zweifel einfach ÜBERALL UND IN ALLES hin- bzw. hineinpinkeln), das Essen kostet zuviel, genau wie die Getränke. Aber das schlimmste an Festivals ist nicht dieses defizitäre Drumherum. Es sind die Menschen. Menschen die mir den Platz vor der Bühne wegnehmen, Menschen welche meine Klobrille mit ihrem Hintern vorgewärmt haben, Menschen die nachts durch die Zeltplätze stapfen und über meine Spannseile fallen, Menschen die betrunken herumgrölen (egal wann, aber besonders nachts!), Menschen die mich komisch anschauen weil ich zwei rote Klappmatratzen auf dem Kopf des Autos zum Zelt transportiere. Okay, letzteres war lustig. Aber es ist einfach dieser fiese Mix aus Alkohol, Drogen und der Unberechenbarkeit der Jugend (und Pipi), welcher Festivals für mich einfach eher suspekt erscheinen lässt.

Werte Damen und Herren: Arlo Guthrie im zarten Alter von 22 Jahren. Ein gut aussehender junger Mann!

Trotzdem freut es mich natürlich, dass es auch in Nähe des mir sehr vertrauten Viersens ein Musikfestival gibt. Wie zu erwarten haben sich die gepflegt katholisch-konservativen Anwohner*innen des ca. zwei Kilometer von ihnen entfernt gelegenen Festivageländes beschwert, dass trotz der immensen Zahl an Bäumen zuviel Musik an ihre achsoempfindlichen Ohren dringen würde und dies ja Lärmbelästigung sei. Froh war ich deshalb über die Reaktion der Stadt Viersen, das Festival nicht zu verbieten, sondern nur den Lautstärkepegel senken zu lassen. Trotzdem gehören die gesetzespedantischen Anwohner*innen heftig mit dem Klammerbeuten gepudert, dass sie Jugendlichen Menschen nicht ihren Spaß gönnen können. Wahrscheinlich werden sie bei soviel Lasterhaftigkeit vom Steuerhinterziehen oder Rechtsverdrehen abgehalten.

Nach meinem kurzen Ausfall oben: Festivals sind mit Sicherheit etwas Tolles für diejenigen, die mehr Humor haben als ich und Dinge viel weniger Ernst nehmen als meine alte Seele. Aber ich muss momentan nun mal meinen Kopf freihaben, um mich mit dem deutschen Sozialsystem auseinanderzusetzen. Oder eher, um mich damit nicht mehr auseinandersetzten zu müssen. Übrigens: Das „Best Kept Secret“-Festival hat trotz allem viel Spaß gemacht und ein tolles Line-Up gehabt, ich kann es interessierten Menschen nur empfehlen.