Dass wir eine starke Frau im Videospiel mit „normalen“ Maßen bekommen, haben wir – glaube ich – längst aufgegeben. Trotzdem hat so manch einer Hoffnungen für das diese Woche erscheinende „Remember Me“ gehabt. Und nein, ich rede nicht von der Gameplaymechanik, von der künstlerischen Gestaltung Neo-Paris’ oder der letztlich völlig verkommenen Erinnerungsmanipulation, die das Spiel ursprünglich vom „Arkham Asylum“-Klonbrei abheben sollte.

Mit „Remember Me“ versprach uns Entwickler Dontnod eine selbstbewusste Frau auf der Jagd nach ihren Erinnerungen. Da wird auch schon mal eifrig Archimedes „umzitiert“, um dem Spiel Tiefe zu geben. Leider kann Protagonistin Nilin überhaupt keine starke Person sein, da ihre Erinnerungen gelöscht sind. Sie ist als Jägerin ihrer eigenen Erinnerungen selbst Gejagte der Story. Sie steht im Dunkeln und ist eine Befehlsempfängerin, da sie von sich aus nichts wissen kann. Wir müssen sogar davon ausgehen, dass ihre Suche nach ihren Erinnerungen etwas ist, dass ihr eingepflanzt worden ist.

Das ganze neo-utopische Setting erinnert den ein oder anderen bestimmt an „Mirror’s Edge“. Faith war ebenfalls nicht mehr als die Schablone einer starken Frau. Hätte man die rudimentäre Story weggelassen und es allein der Vorstellungskraft des Spielers überlassen, dann wäre Faith wohl auch zu der toughen und emotional nachvollziehbaren Heldin geworden, die wir uns alle wünschen. Aber ich träume sowieso nur vor mich hin. Wir alle wissen ja, dass niemand Spiele kaufen will, die eine Protagonistin haben. Frei nach der männlichen Devise: “Igitt! Mädchen!”


Weglaufen, fluchen und Explosionen… so tiefgründig wie die 90er-Jahre Actionfilme… yay…

Bei dem Zukunftsszenario und auch den zu manipulierenden Erinnerungen denke ich hingegen an ein Spiel, das nie eine Fortsetzung bekommen wird. Es handelt sich um „Enslaved – Journey To The West“. Das Spiel aus dem Hause Ninja Theory (jüngst mit dem Devil May Cry-Reboot erfolgreich) lieferte in meiner inzwischen 15jährigen „Spielerkarriere“ den wohl komplettesten, weiblichen Charakter, den ich in einem Spiel je erleben durfte.

Sicher, es gibt die große Einschränkung, dass „Trip“ nur der Begleitcharakter ist und man den muskulösen Monkey steuert. Trip ist jedoch derart in die Story und Spielmechanik involviert, dass man sie nicht einfach wegdenken kann. Sie ist genauso essenziell für Story und Spielmechanik wie Elizabeth aus Bioshock Infinite. Ihre Handlungen sind stets nachvollziehbar und sie ist nicht bloß das Liebesobjekt des Protagonisten oder die Dame, die völlig hilflos ihrer Rettung ausharrt.

„Remember Me“ wäre einen Schritt weiter gegangen. Hier steuert man die Frau selbst, doch das Spiel verliert sich nach bisherigen Eindrücken in einer schlecht fokussierten und auf Twists ausgelegten Story. Wenn dazu nicht genug Zwischensequenzen oder eingespielte Gespräche des Charakters diesen als Charakter nahebringen, dann verkommt Nilin zu einer weiteren, leeren Hülle, die Mittel zum Zweck und nicht selbst etwas darstellt (auch genannt „Shepherd“-Syndrom). Und warum muss Nilin so lasziv mit dem Hintern wackeln, wenn sie läuft. NIEMAND LÄUFT SO! NIEMAND! HAST DU MICH GEHÖRT, HEIDI KLUM!?

Enslaved by Ninja Theory

Ohne Hüftschwung und überzeichnete Sassyness ist Trip gemeinsam mit Bioshock Infinites Elizabeth das Flagschiff guter, weiblicher Charaktere in Videospielen. By Ninja Theory

Es ist Fokusgruppen und feststehenden Meinungen geschuldet, dass wir auch heute zumeist noch Männer in unseren Spielen steuern. Es gibt gewisse Dinge, die wir anscheinend nicht von Frauen sehen wollen. Selbst die ebenfalls gut gestaltete Nariko (die, aber natürlich auch wie eine sexy Kampfamazone aussieht) aus „Heavenly Sword“ (ebenfalls von Ninja Theory) führt ihre cineastisch dargestellten Kämpfe weit weniger brachial und blutig als Kratos („God of War“-Reihe) oder Gabriel Belmont („Castlevania: Lords of Shadows“).

Diese Gewohnheitszwickmühle scheint zu klemmen. Ein weiteres Positivbeispiel der Vergangenheit ist „Beyond Good & Evil“ (Ubisoft), das ebenfalls keine Fortsetzung bekam, weil die Verkaufszahlen zu niedrig waren. Protagonistin Jade ist eine selbstbewusste Frau, die Ideale hat und nicht als Objekt, sondern als Person handelt. Sie ist nicht Spielball der Ereignisse, sondern ist gezielt auf der Suche nach Wahrheit. Solche Figuren funktionieren und schrecken die wenigsten Spieler, die ich kenne ab.

Wenn die Mechanik stimmt und das Spiel sich gut präsentiert, dann spielen die Leute ein Spiel. Man muss schon wie „Arkham City“ einen weiblichen Charakter so voll von Klischees und Stereotypie schaffen (CATWOMAN!!!!einself!!), dass sich der Spielermagen umdreht und man ungeachtet seines Geschlechts nie wieder diesen Charakter spielen möchte.

 
Characterception: der Charakter hinterm Charakter

Diese Konsolengeneration wird uns den Gefallen der spielbaren Frau wohl nicht mehr tun. Nach dem Charakter-Story-Reinfall „Remember Me“ steht in „The Last of Us“ wieder „nur“ ein wichtiger NPC zur Verfügung, der Spieler wie mich daran erinnert, dass man auch Trip oder Elizabeth hätte spielen können sollen. Elizabeth aus Bioshock Infinite landete schließlich auch nicht auf dem Cover des Spiels, weil man Nicht-Fans der Serie nicht mit einem wichtigen, weiblichen Charakter abschrecken wollte…

Allein „Beyond: Two Souls“ könnte einen wichtigen Schritt für die spielbare Frau machen, aber da ihr unsichtbarer Freund einen Männernamen hat, wird auch hier die Aufmerksamkeit geteilt sein und zudem ist David Cages neues Werk natürlich wieder mehr interaktiver Film als typisches Spiel. Mir soll’s recht sein. Ich würde viel für ein paar mehr ansprechende Frauenfiguren in meiner Herzblutbranche geben. Für die Sausage-Party kann ich auch Fernsehen gucken und Comics lesen…