Irgendwann will ich mal in die Wüste. Egal welche. Ich wünsche mir das, nicht weil ich suizidale Tendenzen habe, sondern weil ich Sterne gucken will. Nachts will ich dann in den Himmel schauen und dieses Meer an Sternen sehen, das uns die gesamte Menschheitsgeschichte über inspiriert und orientiert hat.

Zwar kann man mit etwas Glück auch in Deutschland Sterne sehen, sollte es nicht gerade bewölkt sein und mensch sich abseits großer Städte befindet, aber es wäre nicht das gleiche. In der Wüste, ohne Wolken und störende Lichter, tut sich ein Ozean an Lichtpunkten auf und endlich könnte ich dann die Milchstraße bewundern, dieses Band aus Milliarden an Sternen, zauberhaft drapiert an den dunkelblauen Nachthimmel.

Während ich dann also nachts in der Wüste sitze, in der Nähe irgendeiner romantischen Oase und den Blick gen Himmel richte, wird irgendein Kackdepp wahrscheinlich seine Gitarre dabei haben und mit einem schüchternen und/oder verschmitzten Blick in die Runde die ersten Takte eines Liedes anstimmen. Dann werde ich stinkwütend vor dieser Person stehen (mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mann) und ihr in das Schallloch der Gitarre reiern, weil ich die Kombination Konzertgitarre und Wonderwall einfach nicht mehr ertragen kann!

bad campfire music_over the top of NY Genau wie extrem schlechte Kulissen. By Over the top of NY, via Flickr.com

Wieder muss ich darum bitten, mich nicht falsch zu verstehen: Ich liebe Musik. Für mich ist sie die höchste aller Künste, schafft doch nur sie es, Menschen auf eine Weise zu berühren, wie es Bilder oder Worte nur schwerlich können. Musik ist mir sehr, sehr wichtig. Ich spiele selbst ein Instrument und habe ein kleines bisschen Erfahrung mit Bands. Daher weiß ich, dass Musik ihre Magie auch entfaltet, wenn mensch sie selbst macht und vor allem mit anderen Menschen zusammen.

Nichts ist vergleichbar mit der Euphorie, welche durch das harmonische Zusammenspiel verschiedener Instrumente entsteht. In einer Band kann es dann diese Momente geben, in denen es „Klick!“ macht und ein musikalischer Flow entsteht. Dann transzendiert Musik die eigenen Sinne und übernimmt die Kontrolle über den eigenen Körper, Reflektion sollte tunlichst vermieden werden und die Anima übernimmt die Kontrolle, die Ratio tritt in den Hintergrund. Gerade weil also Musik ein so hohes Gut ist, schmerzt es mich zutiefst, wenn sie rein instrumentell gebraucht wird.

Natürlich will ich niemandem unterstellen, Wonderwall nur zu spielen, um potentielle Geschlechtspartner aufzutun. Aber wann immer mehr oder weniger junge Menschen zusammen sitzen und irgendjemand eine Gitarre dabei hat, dann wird meistens auf diesen und eine erkleckliche Anzahl an bekannten Popsongs zurückgegriffen. Die Beatles werde dabei genauso gerne beschmutzt wie Die Ärzte, Simon and Garfunkel oder Sternstunden des Deutschen Schlagers (der, zugegeben, allerdings nicht wirklich beschmutzt werden kann).

Was ist aus der unbändigen Kreativität geworden, welche Musik freisetzen kann? Was ist mit Improvisation, was mit Harmonie? All diese göttlichen Gaben der Kunst werden zugunsten eines schnöden Nachspielens und -singens von bereits tausendmal gehörten Werken ignoriert, die bereits in einer Version vorliegen, die künstlerisch wertvoller ist als das oft halb betrunkene Gekrächze junger Kehlen, denen obendrein auch noch jegliche gesangliche Ausbildung abgeht. Selbstverständlich kann ich nicht verlangen, aus jedem Abend mit Musik einen einzigartigen Moment musikalischer Epiphanie zu gestalten. Aber müssen es denn immer dieselben bekackten fünf Lieder sein?

Headphones cat_Pete ProdoehlDie genervt-traurige Mimik der Katze spiegelt recht gut meinen Gemütszustand beim Schreiben dieses Artikels wieder. By Pete Prodhoel, via Flickr.com

Immerhin, es gibt ja einen Grund, warum Musik in E-, U-, und F-Musik unterteilt ist. E-Musik ist dabei die „ernste“, künstlerisch wertvolle Musik (z.B. Klassik in ihren vielfältigen Formen), U-Musik bezeichnet die gängige Unterhaltungsmusik (also alles, was unter Popmusik etc. fällt) sowie die Funktions-Musik, wie mensch sie aus Fahrstühlen, Kaufhäusern oder Telefonwarteschleifen kennt.

Diese Unterscheidung ist mithin etwas künstlich und obendrein fragwürdig, aber sie entspringt der Verwertungslogik der großen Musikgesellschaften. Gerade dieser künstlerisch entwürdigenden Logik unterwerfen wir uns, wenn wir Musik durch stumpfes Nachspielen herabwürdigen – zu reiner Unterhaltung oder Funktion. Musik, vor allem selbst gemacht und erlebt mit anderen Menschen, ist mehr als nur Wonderwall und Westerland.

Also bitte: Hören wir auf, immer dieselben Lieder hören und spielen zu wollen, sobald jemand eine Gitarre dabei hat. Wagen wir etwas Neues und Aufregendes und verkriechen uns nicht im Erdloch des Altbekannten. Denn vollgereierte Schalllöcher sind für niemanden angenehm. Außerdem zieht das ins Holz der Gitarre und versaut den Klang. Aber da braucht es ja auch nicht mehr viel, wenn jemand so bescheuert ist, eine Akustikgitarre mit in die Wüste zu nehmen.