Irgendwann am Anfang dieser Kolumne habe ich mal was zu einer blöden Schimpansenreferenz geschrieben, die ich im Zusammenhang mit einer Party gehört hatte. In besagter Referenz versuchte jemand mit dem Verweis auf eine Studie zu Menschenaffen argumentativ zu bestätigen, dass Männer* und Frauen* biologisch unterschiedliche Hobbys und Interessen haben. Da männliche Affenbabys eher nach Autos und weibliche nach Puppen greifen, sei es doch klar, warum Frauen und Männer unterschiedliche Berufe bevorzugen… Dazu fällt mir eigentlich mittlerweile nur großes Augenrollen ein.

by Frans de Waal via Wikimedia Commons

705px-Young_male_chimpSo sehen sie aus, unsere Verwandten.

Obwohl Äußerungen wie diese mich am Meisten ärgern und (ja) auch aufregen, bin ich hier nie konkreter darauf eingegangen – andere Themen hatten bisher einfach Vorrang. Nichtsdestotrotz kam mir vorgestern Abend als erstes diese Schimpansenkacke (verzeiht meine Sprache) in den Sinn, als ich auf die Facebook-Seite des Mädchenflohmarktes in Trier stieß. Auch wenn die Illusion, dass wir in unserem ach so tollen Land heute alle gleichberechtigten sind, bei mir schon lange gestorben ist, bin ich immer wieder fasziniert bis tief schockiert, was tagtäglich passiert in unserer vermeintlich aufgeklärten Republik.

Natürlich werden schon jetzt einige Aufschreien und sagen: „Warum schreibst du denn bitte zu diesem Thema? Gibt es nicht grad wichtigere Sachen, die diskutiert werden müssen?“ Und mein erster Impuls ist zu sagen, ja es gibt andere Themen, die mir noch mehr Bauchschmerzen bereiten, z.B. das schreckliche Beispiel für rape culture in den amerikanischen Medien zur Zeit oder die noch nicht so weit entfernte (in vielen Aspekten total indiskutable) Diskussion um Sexismus in Deutschland vor einigen Wochen. Nichtsdestotrotz möchte ich diesen Post dazwischen schieben. Denn auch so ‚harmlose‘ Veranstaltungen wie der Mädchenflohmarkt sind Teil des Problems.

Sie verhärten Geschlechterklischees und zementieren nicht nur das binäre Geschlechtersystem, sondern tragen einen großen Anteil daran, dass die Vorstellung von geschlechterspezifischen Interessen weiter bestehen bleibt. Gerade, weil sie so vermeintlich harmlos sind und es doch nur um Spaß und einen tollen Tag gehen soll.

Hier also der Text, der mich zusammen mit dem Titel und der konkreten Ankündigung einer ‚Jungsecke‘ mehr als stutzen ließ:

Hast du Fehlkäufe oder Klamotten im Schrank, die dir nicht mehr passen, aber zu schade sind um nur da zu hängen? Machst du selber schöne Dinge, die du gerne einem größeren Publikum zeigen und verkaufen möchtest? Brauchst du neue Schmuckstücke und Vintageschätze für deinen Kleiderschrank?

[…]

Kaffee, Kuchen und schöne Musik gibt es auch. Eine gemütliche Jungsecke für die mitgebrachten Boys wird auch eingerichtet.

Bevor ich detailliert auf meine Bauchschmerzen eingehen will, eine klare Ansage vorne weg. Ich liebe Flohmärkte, gehe seit dem ich mich zurück erinnern kann auf diese und finde die Idee einen solchen Markt mit dem Schwerpunkt auf Klamotten und Selbstgemachtem zu veranstalten herrlich, vor allem in einer kleinen Stadt wie Trier, wo die Auswahl an guten Flohmärkten beschränkt ist.

ABER!

Erstens: Was soll der Titel?

Mein erster Gedanke war: Klar das ist vielleicht eine empowerment Geschichte. Eine Art Schutzraum für Mädchen vielleicht? Oder eine Möglichkeit Kreativität zu fördern und anzuregen? Auch dann hätte ich Einwände, aber zumindest würde ich die Idee des Titels verstehen. Dann recherchierte ich aber ein bisschen, schaute mir die Seite genauer an und stellte fest, dass es sich bei dem Mädchenflohmarkt um eine Veranstaltung handelt, die schon in verschiedenen Städten stattgefunden hat und stattfindet. Und zwar immer mit dem gleichen Tenor, zwar geht es eigentlich um einen Kleider/Designerflohmarkt, aber aus irgendwelchen Gründen benennen die Organisator*innen das Ganze mit dem erwähnten Substantiv. In Erfurt wird zumindest darauf hingewiesen, dass nur Frauen* verkaufen/tauschen dürfen. Vielleicht spielt dort empowerment doch eine Rolle. Aber ansonsten wird dies nicht weiter thematisiert.

Ich frage mich ernsthaft warum mensch unter dieser Prämisse eine solche Veranstaltung auf diese Art und Weise bewirbt? Klar, jetzt wird schnell das Argument Zielgruppe kommen, aber das finde ich nicht überzeugend. Was ist mit Mode begeisterten Männern* oder mit Trans*menschen? Diese werden mit diesem Titel der Veranstaltung eindeutig ausgeschlossen. Und wieso muss wiedermal ganz klar kommuniziert werden: Shoppen? Pff, das ist was für Mädchen!

Womit wir zum zweiten Punkt kommen: Mädchen? Wirklich?!

Von dem Publikum, das auf den Bildern einiger dieser Veranstaltungen in anderen Städten zu sehen ist, handelt es sich weniger um Mädchen (Kinder und Teenager), die das Ganze betreiben, an den Ständen stehen und die Veranstaltung besuchen, sondern um Frauen*! Also erwachsene Menschen. Was ist es mit unserer Gesellschaft, die das Bedürfnis hat Frauen als Mädchen zu bezeichnen? Mensch sollte sich bewusst machen, dass diese Tradition nicht von ungefähr kommt. Es gehört zum Kern der Problematik, dass Frauen historisch nicht als vollwertige Menschen gesehen wurden. Sie wurden bevormundet, Kindern gleichgesetzt und als nicht fähig bezeichnet ihr eigenes Leben zu bestimmen.

by Bundesarchiv via Wikimedia Commons

WahlkampfIch bin sehr froh, dass sich unsere Urgroßmütter (und auch einige -väter) das nicht haben gefallen lassen!

Dem Universum sei Dank, ist seitdem einiges passiert, aber auch heute lebt dieser Geist fort. Beispielsweise in der Art und Weise wie Frauen* in der Werbung gezeigt werden. Mädchen werden übersexualisiert, Frauen verniedlicht und in kindlichen Posen fotografiert. Im Gegensatz zu Männern, die stets als stark dargestellt werden und die Dinge ‚im Griff‘ zu haben scheinen, also ihr Leben in die Hand nehmen und erwachsen sind, wird die Grenze zum erwachsenen Alter bei der Darstellungen von weiblichen Kindern und Frauen* verwischt. Und auch heute kommen in Diskussionen um Beruf oder andere Lebenssituationen noch Äußerungen wie: „Frauen, die können das einfach nicht, also biologisch“.

Und drittens: Die Jungsecke!?

Anscheinend ist das die Art und Weise, wie mit dem Konflikt aus dem ersten Punkt umgegangen wird. Aber das macht es wahrlich nicht besser. Denn wenn ich vorher Unbehagen hatten, dann wird damit endgültig der Heteronormativitätshammer geschwungen. Bier und Videospiele für Jungs und Kleider für Mädchen? Sind wir wieder in den 50ern? Da wird im Internet darüber diskutiert wie eindimensional und sexistisch die Darstellung von Frauen in Videospielen ist und genug Frauen* (und Männer*) erheben ihre Stimme um endlich einen gleichberechtigten Umgang in dieser Kultur pflegen und leben zu können und das passiert in Trier.

An dieser Stelle ist es wohl immer noch wichtig zu sagen: Geschlecht hat mit Interessen nichts, REIN GAR NICHTS zu tun!! Aber Sozialisation schon und Traditionen, die diese Vorstellungen aufrechterhalten. Wo wir übrigens wieder bei den Schimpansen wären bzw. biologistischen Erklärungsmustern zu unterschiedlichen Interessenfeldern. Erstens: Tiere haben bei dieser Diskussion rein gar nichts verloren, denn auch wenn die Übertragung solcher Ergebnisse von Affen auf den Menschen vielleicht noch Sinn machen könnte (weil nächste Verwandte), wird es spätestens bei Insekten und Vögeln mehr als kritisch. Tiere haben ihre eigene soziale Dynamik und diese zu untersuchen ist legitim, aber wenn wir über Menschen sprechen wollen, dann sollten wir uns Menschen anschauen und den Androzentrismus zu Hause lassen.

Werfen wir einen Blick in die Gesellschaft. Die Biologie hat wirklich eine beindruckende Geschichte von ‚wissenschaftlichen Untersuchungen‘, die beweisen, dass Frauen minderwertig gegenüber dem Mann sind. Und nein ich rede hier nicht nur über das 19. Jhrd. Werft mal einen Blick in die Werke von Anne Fausto-Sterling und seht euch an, was in den 80ern in den USA noch wissenschaftliche ‚Wahrheit‘ war.

Die Einstellungen, die hinter diesen ‚Forschungen‘ stehen, sind leider immer noch nicht verschwunden. Jede*r wird das Buch Warum Männer nicht zu hören und Frauen schlecht einparken kennen. Alles totaler Blödsinn! Warum ich das schreibe? Weil sich Dutzende Forschende hinsetzten und diesen Mist auseinander genommen haben, aber diese Bücher und Aufsätze kennen eben nicht alle. Weil es auch noch heute populärer ist geschlechtliche Unterschiede zu publizieren, als darauf hinzuweisen, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen Fähigkeiten bei Männern und Frauen gibt. Denn DAS entspricht den anerzogenen Erwartungen. Das Hauptproblem bei all diesen Untersuchungen (zur Zeit besonders verbreitet in den Neurowissenschaften) ist, dass davon ausgegangen wird, dass das biologische Geschlecht untersucht werden kann, als würde es in einem Vakuum existieren und als würden sich Wissenschaftler*innen komplett davon distanzieren können. Geschlecht gehört aber zu den Kategorien, die uns so nah sind wie nur wenige, weil sie unser Leben bestimmen. Jede*r von uns ist tagtäglich mit Geschlecht konfrontiert, wenn wir Menschen kennen lernen, im Gebrauch von Sprache, in medialen Diskursen usw. Niemand kann sich von dieser Kategorie frei machen und unvoreingenommen Forschen. So beginnt schon bei der Konzeption einer biologischen Untersuchung der Einfluss von Sozialisation und Erwartungshaltungen auf diese, indem es z.B. in einem Fragebogen nur möglich ist zwischen zwei Geschlechtern zu wählen. Und wieder: Was ist mit Trans*menschen, mit Intersexuellen und mit Menschen, die sich einer Zuordnung verweigern wollen?

Bisher zeigt die Auswertung unterschiedlichster biologischer Untersuchungen der vergangenen Jahrzehnte, dass je gleichberechtigter eine Gesellschaft ist, desto mehr verschwinden vermeintliche Unterschiede. Denn wenn alle den gleichen Zugang und die gleiche Förderung bei den unterschiedlichsten Interessen und Tätigkeiten erfahren, dann lässt sich eine klare Tendenz abzeichnen. Statistisch sind alle Geschlechter gleich gut.

„Da wird aber wieder eine Menge Krawall gemacht, bei einer total harmlosen Veranstaltung“, wird der*die ein oder andere sagen und natürlich haben die Organisator*innen des Mädchenflohmarkts (ob in Trier oder Graz) an diesen Fakten keine Schuld! Aber sie haben sich entschieden, diese Rhetorik zu wählen und sie haben sich entschieden ihre für mich eigentlich tolle Idee so zu bewerben und das zeigt leider, dass diese Vorstellungen und Annahmen anscheinend immer noch als normal empfunden werden. Und das finde ich mehr als problematisch, denn die Unterscheidung in zwei Geschlechter und die biologistische Annahme, dass Frauen eben lieber shoppen und Männer lieber Bier trinken ist der Anfang allen Übels. Wieder einmal wird eher der einfache, heteronormative und damit problematische Weg gewählt, als das ein interessantes Projekt als das beworben wird, was es nach der Beschreibung sein soll: ein cooler, junger Kleiderflohmarkt der jungen Designer*innen und DIY-Menschen den Raum gibt schöne Dinge an den Menschen zu bringen.

(Update: hier geht´s übrigens weiter zu einem Artikel, der ein Statement der Organisatorin enthält)