Lincoln ist diese gemeine Sorte von Film, die es überhaupt nicht zulässt eine Kritik für alle zu schreiben. Gleich vorneweg: “Lincoln” macht als Historienfilm so ziemlich alles richtig, auch wenn der Film “The 13th Amendment” hätte heißen sollen. Wer sich für die entscheidenden Wochen um den Verbot der Sklaverei in den USA nicht interessiert, den wird dieser Film langweilen. Es geht nur verbal und rhetorisch ans Eingemachte, wenn die Mitglieder des Parlaments um Abraham Lincolns Verfassungsänderung streiten.

Jeder der sich für diese Zeitspanne interessiert und im besten Fall auch noch eine emotionale Bindung zu Amerika vorweisen kann, dem wird “Lincoln” ohne Frage gefallen. Steven Spielberg untermauert mit einem unglaublich guten Cast, dass er ein Handwerker sondergleichen ist. Spielberg war noch nie ein Künstler, doch wenn es darum geht, etwas (ohne Explosionen, Herr Bay!) überlebensgroß darzustellen, dann ist Spielberg der perfekte Architekt.

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So kennen ihn nur wenige: Abraham Lincoln ohne Bart! Via Library Of Congress

Von der ersten Szene an, in welcher Soldaten (schwarz, wie weiß) Lincolns wohl mit berühmteste Zeilen zitieren (was auch heute noch fast jedes amerikanische Schulkind kann) wird die patriotisch angehauchte, aber nie unangenehme Darstellung des Films deutlich. Viel mehr geht es darum, wie im Parlament um das Recht der afro-amerikanischen Mitbürger gestritten wird und unter welchen Umständen.

Es geht um Idealisten, die lernen müssen Kompromisse einzugehen und dass die gesellschaftliche und infrastrukturelle Unfähigkeit mit der Eingliederung der schwarzen Bevölkerung keine Entschuldigung für Menschen verachtende Institutionen wie die Sklaverei sein dürfen. Dies wird in wunderbar geschriebenen Dia- und Monologen aufgezogen, die besonders von Daniel Day-Lewis (Abraham Lincoln) und Tommy Lee Jones (Thaddeus Stevens) in Perfektion dargeboten werden.

Wer erwartet, dass Spielberg wie in “Schindlers Liste” bei den Juden das Leiden der schwarzen Bevölkerung zeigt, der ist schief gewickelt. Der Film hat alle Mühe die Taktiken und Argumentationen, sowie den Stimmenfang der Republikaner für das 13. Amendment in 150 Minuten zu packen und dabei nicht ganz die Person Lincoln zu vergessen. Hier hätten sich einige wohl mehr gewünscht, da der Schrecken des Krieges nur durch Robert Lincoln (Joseph Gordon-Levitt) angeschnitten wird, der unbedingt als Soldat seinen Beitrag leisten möchte.

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Ein unscheinbarer Zeitgenosse: Robert Lincoln. Via Library Of Congress

So lebt der Film in erster Linie davon, dass es spannend ist zu beobachten, wie sich diese historischen Figuren in Spielbergs Fassung Wortgefechte leisten und selbst bis in kleinste Nebenrollen so fantastische Schauspieler wie Michael Stuhlbarg (“A Serious Man”), Jared Harris (“Sherlock Holmes 2”) und Jackie Earle Haley (“Watchmen”) machen für Interessierte wirklich jeden Charakter interessant.

Die dankbarste, aber auch herrlich umgesetzte Rolle kommt dabei James Spader (“Stargate”!!!) zu, der als W. N. Bilbo (ja, verdammt! Bilbo!) mit seinen Stimmenfängern das humoristische Element des Films darstellt und auf mich eine ähnlich erfrischende Wirkung hatte, wie der alte Mann aus “Der seltsame Fall des Benjamin Button”, der sieben Mal von einem Blitz getroffen wurde.

Überraschend war für mich, dass es dem Film gut gelungen ist die Charaktere nicht zu sehr zu glorifizieren. Natürlich ist es nur schwer Lewis oder Jones zu widerstehen, doch ihre Charaktere tun auch Dinge, die alles Andere als moralisch einwandfrei sind. Natürlich hätte man diese Szenen verurteilender zeigen können, doch gerade für Spielberg’sche Verhältnisse findet der Film ein gutes Mittelmaß.


Als Republikaner noch die “Guten” waren…

All die kleineren, historischen Ungenauigkeiten und auch der oftmals mangelnde Bezug zu Lincoln als zentrale Figur werden dadurch ausgeglichen, dass Spielberg mit einem ausgezeichneten Team und brillanten Schauspielern ein Historienfilm ohne Längen geglückt ist. Am Ende laugt der Film einen bei 150 Minuten Dialoglastgkeit natürlich ordentlich aus, doch man geht zufrieden aus dem Erlebnis heraus, wenn man eine gute Mischung aus Fakten und politischer Unterhaltung haben wollte.

Zur “entscheidenden” Frage: Sollte “Lincoln” den Oscar bekommen? Nun, der Film sagt auf jeden Fall etwas aus und berichtet über ein für Amerika und die ganze Welt sehr wichtiges Stück Geschichte. Da der Oscar ein amerikanischer Preis ist, ist es nur recht, dass Lincoln nominiert ist und die Fülle an tollen Schauspielern und deren Leistungen könnte nicht wenige dazu verleiten, sich für diesen Film zu entscheiden.

Leider lässt sich der Film so schlecht mit seinen Konkurrenten “Les Misérables”, “Django Unchained”, “Silver Linings” oder auch “Life of Pi” vergleichen. Ich sehe den Film aber aufgrund seiner (für Amerika) guten Mischung aus Inhalt und Darstellung als Favorit neben “Life of Pi”, wenn es darum geht den Oscar für den besten Film zu gewinnen.