Man merkt, dass man bei weitem nicht mehr als Filmfanatiker gelten darf, wenn man die großen, kontroversen Filme nicht gesehen hat. Es ist ja schön, dass ich euch zu „Breakfast On Pluto“ einen vorhusten kann, doch richtige Diskussionen kann man nur mit Filmen starten, die auch jeder kennt.

Einer dieser Filme sollte in der jüngeren Vergangenheit „The Hurt Locker“ gewesen sein. Über den anscheinend erstaunlich harten und im Vergleich ehrlichen Kriegsfilm wurde viel geredet und ich habe bis heute keine gute Ausrede, warum ich als Fan von Filmen wie „Apocalypse Now Redux“ und „Full Metal Jacket“ „The Hurt Locker“ nicht gesehen habe.

Vielleicht ist das aber – ähnlich wie bei „Les Misérables“ – ganz gut, dass ich erneut Abstand zum etwaigen (Anti-)Hype gegenüber Regisseurin Kathryn Bigelow und ihrem neuen Film „Zero Dark Thirty“ aufbauen konnte. Die zehnjährige Suche nach Osama Bin Laden ist schließlich ein ziemlicher Akt, der erst mal filmisch vernünftig dargestellt werden will.


Die Arschlöcher, die den Trailer gemacht haben, geben den Film völlig falsch wieder

Die Geschichte soll dabei auch der Star sein. Es ist das Interesse an den einzelnen Etappen der Suche nach Bin Laden, die den Film am Laufen hält. Und ich behaupte gleich zu Beginn, dass dieses Interesse nur zieht, wenn man an der Suche nach Bin Laden selbst interessiert war. „Zero Dark Thirty“ versucht nicht zu unterhalten, sondern uns möglichst alle Puzzleteile vor die Füße zu werfen.

Man nehme 15 Minuten Foltermethoden, 10 Minuten Zwischenmenschliches, 5 bis 10 Minuten pro neuer Schritt innerhalb der Untersuchungen (Bombe in London, Bombe in amerikanischer Base, Bombe im Islamabad Mariott Hotel… ihr versteht den Spannungsbogen), dann noch eine Viertelstunde Querelen zwischen CIA und dem weißen Haus, um uns eine knappe halbe Stunde in der tiefsten Nacht zu geben, wenn Osama Bin Laden in Pakistan getötet wird.

So wie ich das gerade aufgezählt habe, klingt das Muster nicht unbedingt spannend (und die Zeitangaben sind über den Daumen gebrochen), aber der Film stellt die Suche nach Bin Laden vom Verlauf her im Stile eines Dokumentarfilms dar. Keine unnötigen Highlights und (bis zum letzten Drittel) kaum Zitate und Dialoge, die einen tatsächlich in Filmstimmung bringen.

Bitte versteht das nicht falsch. Wenngleich einige Teile des Films arg abgehackt wirken und dafür die fast schon zu lange, Titel gebende Nacht-und-Nebel-Aktion zum Abschluss hätte kürzer ausfallen dürfen, sorgt die Story selbst dafür, dass Interessierte (und emotional an das Thema gebundene) kaum eine Sekunde verpassen wollen.

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Osama Celebration
Ich behaupte mal, dass diese Menschen sich mehr von Bin Ladens Tod
beeinträchtigt gefühlt haben, als wir in Deutschland

Die Schauspieler sind beim ganzen Projekt nur Mittel zum Zweck. Natürlich wird jetzt viel von Jessica Chastain geredet und sie macht ihre Sache wirklich gut. An ihrem Charakter der Maya soll man die mal trostlose, dann wieder besessene Suche nach dem amerikanischen Staatsfeindnummer Eins nachvollziehen können. Das funktioniert auch gut, doch sobald Zwischenmenschliches oder etwas über den Charakter selbst angedeutet werden soll (z.B. Verzweiflung, wenn ein Kamerad stirbt), fühlt man als Zuschauer kaum etwas.

Die Bindung zum Cast fehlt komplett und das trennt „Zero Dark Thirty“ als gute Geschichte meiner Meinung nach von einem guten Film. Ein Film, der ausschließlich über seine Geschichte funktioniert, der verschenkt Potenzial in den Dimensionen der Bilder, des Wortes und des Schauspiels (um nur einige Punkte zu nennen). Warum der Film für den besten Schnitt nominiert ist, verstehe ich an dieser Stelle übrigens auch nicht.

Am liebsten möchte ich „Zero Dark Thirty“ mit David Finchers „Zodiac“ vergleichen. Auch Fincher hat sich einen echten Fall – wenngleich von kleinerer Tragweite – herausgesucht, der über Jahre und Jahrzehnte spielt. „Zodiacs“ Geschichte selbst ist auch der Knackpunkt des sauber erzählten Films, der den Stil für den folgenden Film „The Social Network“ vorbereitet hat. Doch „Zodiac“ verstand sich mehr als Film und setzte auf Spannung durch das Schauspiel der Akteure, durch Kamerafahrten und einen dichten Soundtrack.

Via flickr by Artifex creation
Black OPs Imperial Gunship signature 1
Das Schlachtschiff der eigentlichen amerikanischen “Helden”… aus Lego!

„Zero Dark Thirty“ versucht dagegen krampfhaft nicht wie ein Film zu wirken, was viele „filmtypische“ Szenen im letzten Drittel (z.B. Maya, die ihrem Chef verstrichene Tage an die Fensterscheibe klatscht und pathetische Dialoge) wie Fremdkörper erscheinen lässt. Wie man ein solches Thema filmischer und auch unterhaltender (womit ich nicht „lustig“ meine) darstellt, zeigt die amerikanische Serie „Homeland“.

„Zero Dark Thirty“ ist ein interessantes Erlebnis für einen konzentrierten DVD-Abend, doch Unterhaltung und Gefühle werdet ihr vergeblich suchen. Gerade für uns Deutsche, die von Terror-Katastrophen bisher verschont geblieben sind, weckt das Thema keine Erfahrungen und Erinnerungen, die sich über eine Dekade wie eine hässliche, immer noch schmerzende Narbe durch unser Gedankengewebe gezogen haben.

Als Film selbst sehe ich Kathryn Bigelows neuen Streifen als keinen großen Wurf an und finde die Thematik zu hektisch auf den Markt geworfen. Mit mehr erzählerischer Dichte, anstatt den Ereignissen selbst zu viel Freilauf zu geben, hätte auch „Zero Dark Thirty“ als einer der großen Hybride aus Journalismus und Fiktion gelten können. Wer Truman Capotes „In Cold Blood“ gelesen hat, sollte verstehen was ich meine.