Gibt es eigentlich ein Modell der menschlichen Lebensphasen? Ich meine, wenn ich hier jetzt schreibe, dass der Mensch unterschiedliche Lebensphasen durchläuft, die durch bestimmte Erfahrungen und Ereignisse geprägt sind und die nach durchleben ebendieser Dinge quasi beendet werden, dann erscheint mir das ein bisschen zu offensichtlich. Stating the obvious, sozusagen.
Aber natürlich lassen sich diese Phasen, ob man dem Modell nun zustimmen mag oder nicht, nie so genau gegeneinander abgrenzen. Wann hört die Kindheit auf, wann beginnt die Adoleszenz, ist mensch irgendwann wirklich erwachsen? Und was heißt „erwachsen sein“ überhaupt? Das Alter jedenfalls ist nur ein Hinweis auf die Lebensphase, zu oft sieht mensch Leute höheren Alters, die sich noch immer wie verwöhnte und egozentrische Teenager verhalten.

 Die Übergange zwischen verschiedenen Lebensphasen sind fraglos fließend und wohl immer nur im Nachhinein erkennbar. Aber manchmal beschleicht einen so eine gewisse Ahnung, dass das gerade Erlebte nicht einfach spurlos an einem vorbei gehen wird. Das ist höchstwahrscheinlich so, wenn das erste eigene Kind geboren wird (oder frau es gebiert), mensch aus dem elterlichen Heim auszieht oder wenn mensch seine (Berufs-)ausbildung abgeschlossen hat. Dies sind Momente, an denen man sagen kann, das eigene Leben befände sich gerade in einer Übergangsphase. Diese Momente werden oft dazu genutzt, dass Menschen gratulieren, dass man nun etwas „bestanden“ oder „einen wichtigen Schritt“ gemacht habe. Aber ich zumindest frage mich in solchen Situationen, ob es wirklich einen Grund zur Gratulation gibt.

Mein Gesicht (annäherungsweise), wenn mir jemand zum Abschluss gratuliert. Via Ben Alman

 Momentan sehe ich mich nämlich der schrecklichen Erkenntnis ausgesetzt, dass mein Studium tatsächlich zu Ende gegangen ist. Alle Prüfungen sind bestanden, hinter mir liegen mehr als eine Handvoll Jahre der (pseudo-)wissenschaftlichen Beschäftigung mit diversen Themen, viele Partys und nachfolgende Kopfschmerzen, wichtige persönliche sowie intellektuelle Erkenntnisse sowie die Gewissheit: Wenn ein Studierender am Ende des Studiums nicht grundsätzliche Kritik an seinen/ihren Fächern anbringen kann, dann ist irgendwas falsch gelaufen. Aber trotzdem: Ich bin fertig, zufrieden und völlig ahnungslos, wie meine Zukunft aussieht. Natürlich weiß ich, wie sie aussehen soll, aber heutzutage noch länger als zwei, drei Jahre in die Zukunft zu planen ist dank Krise, Globalisierung und Patchworklebenslauf ja nicht mehr möglich und die Umsetzbarkeit alles andere als gewiss. Weil deshalb mein Studienabschluss (auch noch in was geisteswissenschaftlichem!) von so vielen Unwägbarkeiten begleitet ist, ist mein Lächeln bei den eingehenden Glückwünschen etwas gekünstelt. Es ist ja aber nicht nur die ungewisse Zukunft. Es ist auch die Tatsache, dass mein Studiumsabschluss auch mein Trierabschluss ist, dass ich also all die liebgewonnen Menschen, die hart erarbeitete Vertrautheit sowohl mit Personen als auch der Stadt selbst, die Netzwerke alleine lassen muss und nur hoffen kann, Kontakt mit der einen oder dem anderen zu halten. Ein tatsächlicher Abschluss mit einer Lebensphase. Und, verdammt nochmal, das ist einfach kein Grund, mir dazu zu gratulieren.

 Gleichzeitig ist dieser Abschluss aber natürlich auch unheimlich spannend. Von nun an habe ich mein Leben völlig selbst in den Händen und entscheide selbst, wie ich meine Zukunft gestalte. Eine absolute Freiheit von allem, natürlich mich ihren entsprechenden Einschränkungen, aber prinzipiell bin ich nur noch mir selbst verantwortlich. Sobald ich einen Job gefunden habe, der mir diese Freiheit finanziert, versteht sich. Und damit muss ich mich also wieder in die ewig knirschenden Knochenmühlen der Erwerbsarbeit begeben und tausche meine neugewonnene Freiheit fast gleichzeitig wieder ein gegen die Fesseln des computergestützten Arbeitsplatzes und eines regelmäßigen Monatseinkommens. Dahin ist die Freiheit, wenn ich abends nach Hause kommen und nicht mal mehr die Kraft haben werde, mich über meine Situation aufzuregen. Aber auch hier liegt es letztlich alleine an meiner Entscheidung, ob ich mich für den Bausparvertrag entscheide, oder mich eher im ausgereizten Dispokredit zur Finanzierung eines erfolglosen Kreativ-Blogs suhle.

Da erscheint so ein Leben als buddhistischer Bettelmönch viel attraktiver. Ich wollte sowieso ein bisschen abnehmen. Via Roberto Marquino

Glückwünsche zum Ende einer liebgewonnenen Lebensphase sind also ein zweischneidiges Schwert. Mittlerweile sage ich den verwunderten Leuten, die verwirrt sind ob meines Mangels an Enthusiasmus für die kommenden Magengeschwüre dank zahlloser Bewerbungsfristen, dass sie mir viel Glück wünschen sollen. Darüber freue ich mich dann auch wirklich.