Das Prachtjuwel Berlins ist zurück und Mittelpunkt unserer wöchentlichen Rubrik. Zu recht? Das ist nur schwer zu sagen. Besonders weil auch Nischenmusiker Jon Lord (ehemals Deep Purple) Post Mortem die Ehre erwiesen wird. Dazu gibt es ganz interessante Indie-Kost mit dem extravaganten Namen Lilabungalow. Ob Dancehall, Rock-Klassik-Fusion oder Pop: Ihr werdet diese Woche gut bedient.

Der gute Ton: Seeed

Sind ihnen nach sieben Jahren die Ideen ausgegangen? Das vierte Album nach sich selbst zu benennen ist nicht unbedingt einfallsreich und erinnert u.a. an die Deftones, deren Qualitätskurve ebenfalls nachließ, nachdem es zum self-titled Album kam. Die lange Wartezeit seit den Reunionskonzerten letztes Jahr hat die Nervösität nicht gerade kleiner werden lassen. “Wonderful Life” hat nicht jeden weggepustet, obwohl die Truppe seit jeher covert und das Lied um Einiges mehr Freude als “The Tide Is High” ausstraslt. “Molotov” hingegen war der Straßenfeger, den wir uns schon vor Jahren erwünscht haben, als Peter Fox, dessen Bandname übrigens “Enuff” ist, sein Soloalbum präsentierte.

Das neue Album ist für die lange Pause unglaublich kurz. Nach weniger als 40 Minuten ist der Spuk schon wieder vorbei. Da wird man ja kritisch, bevor man die Scheibe überhaupt in die Umlaufbahn des heimischen Players schmeißt. Aber gemach, gemach! Qualität statt Quantität wird schließlich immer gepredigt. Das ist zwar sonst eine Entschuldigung von Eltern, weil keine Gummibärchen mehr im Haushalt sind, doch jeder kennt so seine Silberlinge, die nicht grad vor Länge, davor aber vor Klasse strotzen.

Ganz wichtig ist beim neuen Seeed-Album jedoch das Zauberwort Geschmack. Seeed haben schon vor einem Jahr angekündigt, dass man organischer klingen will. Das heißt mehr “Dancehall Caballeros” und weniger “Next!”. Das wird die einen erfreuen und andere wieder abstoßen. Auch die Big-Band-Vorab-Single “Beautiful” wird nicht jedem schmecken. Es klingt nicht mehr so nach Poser und abgeklärter Mucke für den Club. Hier ist auch Gefühl und Ruhe eingekehrt. Ich heiße das gut und genieße das Grandeur der Big Band in “Beautiful” und entspanne zum verträumten “Feel For You”. Ansonsten gibt es natürlich auch wieder mehr Reggae, der auch “Next!” auch eher auf der Strecke blieb. “You & I” und “Elephants” bleiben lässig und in “Lovelee” werden Big Band und Reggae brav verbunden. Vielseitigkeit ist gegeben.


Die neue Single wächst mit jedem Hördurchgang

Aber die Herren sind nicht eingerostet. Neben “Molotov” aus dem Vorjahr wird auch “Augenbling” die Radiorotation ankurbeln. So kennen wir Seeed und auch in niedriger Gangart (“Deine Zeit”) überzeugt das halbe Dorf mit Coolness und Stilsicherheit. Schwerer werden sich Hörer mit “Wasted Time” tun, welches auch von Fettes Brot stammen könnte. Allerdings ist das erstens nichts Schlechtes und zweitens bleibt die Speilfreude der Band bestehen. Das überträgt sich auch auf den poppigen Nachfolger von “Ding” in Form von “Seeeds Haus”.

“Seeed” ist dementsprechend eigentlich alles, was man sich als Seeed-Fan gewünscht haben könnte. Aber nach sieben Jahren Pause ist es schwer zu sagen, was die vielen Fans erwartet haben. Einen Konsens wird man da nur schwerlich finden, aber die Seeed-Magie funkt noch für diesen Fan. Ohne viel Staub und/oder Leerlauf melden sich die Berliner mit einem Knall  zurück, der einigen vielleicht zu gediegen vorkommt.

Der Ton der Vergangenheit: Jon Lord

Sein “Concerto” ist eine Kombination aus allem, was Jon Lord je gemacht und ausgezeichnet hat. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mich wenig mit der Musik Lords befasst habe. Aber als ich die letzten Tage diese Scheibe gehört habe, bin ich verstummt. Nein, ich feiere dieses Werk nicht hoch, weil Jon Lord im Juli von uns gegangen ist. Hier zählt die Leistung. Und als designierter Nerd bin ich (natürlich) ein großer Fan von Videospielmusik. Diese gibt es bekanntlich auch in orchestraler Ausführung und nicht seltenauch mit Rock unterlegt.

Und bei allem Respekt gegenüber Herrn Uematsu, was Lord uns mit seinen drei Movements auftischt ist ein Ohrenschmaus, der aus Himalaya-Qualitätshöhen grüßt. Tempowechsel, verschiedene Musikstile und unglaublich viel Abwechslung ohne dass Langeweile herrscht ist die Zauberei hinter den herrlich arrangierten Stücken. ich war in der Musiktheorie an der Schule nie gut, aber ich kann aus eigener Erfahrung bescheinigen, dass Mozart, Beethoven und Co. weitaus höhere Chancen bei der heutigen Jugend hätten, wenn ein Jon Lord der Komponist gewesen wäre.

Zwar wird schon beim “Concerto” der ein oder andere Hörer zu viel Retro-Rock ausmachen, wenn dämonische Orgelsounds und frickelnde Gitarrensoli erklingen, aber am Ende steht ein so farbenfroher und leicht zugänglicher Bombast mit diesem Album, dass man nicht anders kann, als zu applaudieren. Man muss bereit sein für die Nische aus altem Prog-Rock und Klassik, doch wer nur den Funken Hoffnung hat eine der beiden Richtungen weiter zu verfolgen: Lord hat mit seinem letzten Stück Arbeit DAS Zugangsmittel geschaffen.


Wir sagen Danke schön und Aufwiederseh’n

Der Ton der Zukunft: Lilabungalow

Lilabungalow bringt das Kunststück fertig ein ähnliches Kuinstlevel wie Lord zu erreichen. Aber lassen wir die Kirche mal im Dorf. Oder eben in der Hauptstadt. Genau da kommen die Jungs von Lilabungalow nämlich her und machen Pop-Musik, die sich keine Grenzen aufmalen lässt. Da treten Bläser, Synthesizer, Handclaps und Trip-Hop als Elemente an um mit klassischen Teilen des Pop/Rock eine Mischung zu erzeugen, die nicht viel abwechslungsreicher sein könnte. Von minimalistischen Stücken mit nahezu Spoken Words-Anteilen bishin zu ausgelassenen Nummern, die auch dem Funk nicht entsagen.

Im Gegensatz zu Lord wird hier natürlich ganz anders gewerkelt und Lilabungalow haben eine kühle Distanz in ihrer Musik, die eher zu Hipster/Indie-Partys einlädt. Das Gesamtergebnis ist allerdings so verdammt interessant und catchy, dass man nur schwer nein sagen kann, wenn man auf alternative Pop-Musik steht. Normalerweise verzetteln sich Art-Pop-Bands dabei die richtigen melodien zu liefern, aber was auf dem (ebenfalls self-titled) Debüt zu hören ist, verdient nahezu durchgängig das Prädikat “tanzbar”.


Ein weiteres, positives Stück Berlin