Wenn ich bald arbeitslos bin und mich einfach niemand haben will, dann fahre ich zur See. Ich heuere auf irgendeinem großen Frachter an und schipper übers Meer, sehen fremde Häfen, esse schlechte Nahrung und lerne Seemannslieder. Irgendwie fasziniert mich die Idee eines Lebensraums, der in Bewegung ist. Du gehst schlafen und wachst an einem anderen Ort auf. Du legst immer an fremden Orten an und kannst neue Erfahrungen sammeln. Du lernst das harte Leben kennen, verkriechst dich nicht in einem Elfenbeinturm. Und wenn du nicht all deine Heuer auf dem Landgang versäufst, hast du auch ein schönes Sümmchen gemacht, wenn du wieder im Heimathafen einläufst. Ausser, du wirst von Piraten geentert.

Ich bin mir nicht sicher, aber es war die „Fluch der Karibik“-Reihe, welche dem Piraten-Topos neuen Aufschwung in der Populärkultur gab. Wobei dabei aber schon auf bereits vorhandene Tendenzen in der Netz-Kultur zurückgegriffen wurde, ein Stichwort wäre hier die Diskussion um  Piraten vs. Ninjas (Ninjas!). Die Darstellung von Johnny Depp war es wohl, die Piraten von den schmierigen, schmutzigen, schmerbäuchigen Halunken zu den irgendwie liebenswerten und verschmitzten Haudegen machten, die sie heute im kulturellen Gedächtnis verankert. Dabei hatten Piraten nun wirklich kein leichtes Leben, hatte sie nie. Die Anfänge der Piraterie gehen zurück bis in die Antike, der Mittelmeerraum mit seinen vielen kleinen Buchten und Inseln wimmelte nur so von Piraten, die römische, griechische oder phönizische Handelsschiffe überfielen. Und dass es hauptsächlich ökonomische Gründe sind, welche somalische Seeleute zur Piraterie am Horn von Afrika treibt, ist auch ein mehr oder weniger offenes Geheimnis.

Armut, Überfischung und viel zu viele Maschinengewehre. Via dagnyg

Aber dieses trotzdem positive Piratenbild hat wohl mit dazu beigetragen, dass die Piratenpartei sich diesen Namen gegeben hat, abgesehen von Pirate-Bay und dem damit zusammenhängenden Rattenschwanz von Bezeichnungen für Raubkopierer. Was mich immer ein bisschen ärgert bei der Berichterstattung über die Piratenpartei ist, dass sich zu sehr auf die berechtigte inhaltliche Kritik konzentriert wird, aber keiner so richtig sieht, dass es eigentlich eine tolle Sache ist, dass es eine Partei geschafft hat aus dem Stand eine so hohe Popularität zu erlangen. Denn damit wird die etablierte politische Mechanik in vielen Ländern, auch Deutschland, wenigstens ein bisschen gerüttelt und es gibt die Chance, dass wenigstens ein paar Teile dieser Mechanik verrutschen und somit der Weg frei ist für ein bisschen Veränderung. Aber Dank so Damen wie Frau Schramm gerät die Piratenpartei wieder in die Schlagzeilen, weil sich Teile ihres Personals blamieren. Manchmal ist das auch richtig so, wie im Falle der antisemitischen oder chauvinistischen Äußerungen über Twitter, manchmal nervts auch einfach tierisch. Zum Beispiel, wenn Frau Schramm zuviel Geld für zu wenig Inhalt bekommt und dann auch noch etwas sehr unpiratisches tut: über ihren Rechteverwerter ließ sie eine illegale, digitale Kopie ihres Buchs aus dem Netz entfernen.

Und da haben wir das Thema wieder: Urheberrecht. Das Problem dabei: Es geht ja eigentlich gar nicht um das Urheberrecht. Das Urheberrecht sorgt nur dafür, dass die Künstlerin oder der Künstler Anerkennung für sein*ihr eigenes Werk erhält, sei es materiell oder immateriell. Zusätzlich regelt das Urheberrecht die Verfügungsgewalt über das entsprechende Werk, also wie der/die Künstler*in sein*ihr Werk verwenden kann usw. Um zu überleben müssen viele Künstler*innen darauf achten, dass sie ihre Werke ordentlich verwerten, dass sie also Geld durch den Verkauf ihrer Musiken/Bücher/Bilder etc. verdienen. Ich glaube, im Prinzip hat da niemand was dagegen, dass das so läuft und dass die Leute, die es verdienen, auch Geld für die Dinge bekommen, die sie geschaffen haben. Die Krux beim Urheberrecht liegt daher bei der Weitergabe der Verwertungsrechte.

Durch die fortschreitende Kommerzialisierung von Kunst (also allen von Menschen geschaffenen „Werken“) wurde es attraktiver für Künstler*innen, ihre Werke nicht mehr selbst auf der Straße zu verkaufen, sondern die Verwertungsrechte (was aus dem eigenen Werk gemacht wird) abzutreten an eine übergeordnete Körperschaft. Bei Musikern ist das ihr Label und die daran angeschlossenen großen Medienverlage (zumindest theoretisch, bei Konstrukten wie der GEMA sieht das wieder etwas anders aus), bei Autoren der Verlag, der oft wiederum zu einem großen Medienhaus gehört, nur bei bildenden Künstlern*innen läuft vieles noch auf der persönlichen Basis, zumindest wenn es nicht gerade um Fotografie oder Film geht.

Wo noch echte Kerle mit echtem Geld echte Geschäfte machen. Kapitalismus Ahoi! Via aarongilson

Die Künstler*innen, die ihre Verwertungsrechte also abtreten (de facto, offiziell lizenzieren sie), bekommen nicht mehr den eigentlichen Ertrag aus ihrem Werk, sondern einen Abschlag vom Umsatz. Ein Teil geht an die Künstlerin bzw. den Künstler, ein Teil geht an den*die Zwischenhändler*in, ein Teil verbleibt bei der Verwertungsgesellschaft. Plötzlich wird somit der Ertrag aus einem Werk, der ja eigentlich einer*einem Schöpfer*in zusteht, auf viele aufgeteilt. Natürlich, das Werk trägt noch immer den Namen des*der Urheber*in, aber es verdienen ja mehr Menschen daran, als eigentlich Anteil hatten. In gewisser Weise ist das in Ordnung, solange den Künstler*innen ein entsprechend großer Anteil am Umsatz zufließt. Dies ist aber beispielsweise für die Musikindustrie nicht mehr der Fall, wie diese Infografik zeigt.

Viel mehr läuft es ja so, dass Musiker*innen Geld für die Produktion eines Albums bekommen und dann an den Tantiemen für das Abspielen der Titel beteiligt werden, wobei aber immer auch ein Teil des Geldes an den*die Inhaber*in der Verwertungsrechte (nicht des Urheberrechts) geht. Das ist der Grund, warum es ganze Firmen gibt, die allein von den Verwertungsrechten von bekannten Titeln oder Interpreten (z.B. den Beatles, Michael Jackson) leben, und das ist auch der Grund, warum Die Ärzte für jede Kompilation ihrer bekanntesten Hits zahllose Musikverlage darum bitten müssen, ihre eigene Musik zu verwerten. Und das ist auch der Grund, warum mir immer etwas hochkommt, wenn ich die Vertreter von Medienkonzernen höre, wie sie irgendeine Scheißmaßnahme damit rechtfertigen, dass die Leute sich soviel gratis aus dem Netz herunterladen.

Das Problem ist doch: Heutzutage wird fast alles digitalisiert. Und alles, was digitalisiert wird, landet früher oder später im Netz. Punkt. Das ist so. Das ist der Preis, den man für eine so tolle Sache wie das Internet, diesem Hort der Freiheit und der Anarchie (und des bodenlosen menschlichen Abgrunds…), zahlen muss. Bei der ganzen Heuchelei der großen Medienhäuser wird eines einfach anscheinend vergessen: Die Wichser spielen nicht nach ihren eigenen Regeln. Sie versuchen, aus einem gesättigten und langsam altmodisch werdenden Markt, dem Handel mit Kulturleistungen als Festkörper (DVDs, Bücher) mehr Geld herauszupressen als sie können und verärgern durch ihre teilweise lächerlichen Beschränkungen ihre Kundschaft. Was die großen Firmen nämlich nicht auf die Kette kriegen ist: Es liegt an denen, uns, den Kunden, Gründe zu liefern, warum wir NICHT einfach etwas illegal runterladen sollten. Die müssen sich doch am Markt behaupten, durch die qualitativen Eigenschaften des Produktes. Es liegt an den Firmen uns Quallität zu liefern und nicht mit einem lieblosen Booklet und 12 durchschnittlichen Songs abzuspeisen. Oder für ein Videospiel 60 € zu verlangen, dass nach 5 – 6 Stunden vorbei ist und später dann noch ein zusätzliches Kapitel erhält, aber natürlich nur, wenn man das zusätzlich bezahlt. Oder die neueste Staffel einer Hit-Serie exklusiv auf dem eigenen Fernsehkanal auszustrahlen und von einer (evtl. zeitlich etwas verschobenen) digitalen Distribution abzusehen, womit die Knallköpfe effektiv auf zusätzliche Einnahmen verzichtet haben. Denn ich glaube es ist schon so, dass es viele Leute dort draußen gibt, die bereit wären, für bestimmte Dienste, bei denen sie das Gefühl haben fair behandelt zu werden, Geld zu bezahlen. Aber eine faire Behandlung von einem Großkonzern, der weder mit seinen Kunden*innen noch seiner eigentliche Geldquelle (die Urheber*innen) gerecht umgeht, kann man da wohl kaum erwarten.

Wer braucht Fairness, wenn er Geld hat. Geld! GELD! G E L D !!! Via elycefeliz

Statt also das zu tun, was Konzerne durch ihre Lobbyisten immer wieder predigen (weniger Regulierung, mehr Markt), lassen sie den Staat die Gesetzeskeule schwingen und bringen damit effektiv mehr Menschen gegen sich auf, als sie müssten. Und erleiden damit effektiv Gewinneinbuße. Statt Innovationen zu produzieren und die Lösungen im Medium selbst zu suchen, wälzen diese fetten Businessgroups ihre verdreckten Ärsche auf dem Parkettboden vor den Parlamenten in Brüssel, Berlin, Washington, London usw. und manipulieren die Politik zu ihren eigenen, vermeintlichen Gunsten. Sie behindern Innovation und betrügen Menschen um ihr Geld. Und bei all dem geht es bitteschön nicht um die armen Urheber*innen, die ihre gesetzlichen Rechte durchsetzen wollen. Das ist eine Lüge. Es geht um die Gewinne einiger weniger Konzerne, die ihre Felle den Fluß hinunterschwimmen sehen und nicht in der Lage sind, hinterherzupaddeln.

Also: Beim Streit ums Urheberrecht geht es nicht darum, den Urheber*innen etwas weg zu nehmen. Im Gegenteil, es geht darum, den Schöpfer*innen von toller Kunst ihren gerechten Anteil zurückzugeben. Damit diese ganz viele neue und gute Kunst schaffen können. Ausser Frau Schramm. Die schafft eh keine Kunst.