Demokratie ist schon Wahnsinn. Diesen Sonntag wird in Deutschland nicht nur bundesweit zur Europawahl aufgerufen, sondern auch zur Wahl der Kommunalräte in 9 Bundesländern. Die Wahlen zum neuen EU-Parlament dauern insgesamt vier Tage, kein Wunder, müssen doch die Stimmen in 28 Staaten ausgezählt werden. Das ist natürlich kein Vergleich mit den kürzlich geendeten Parlamentswahlen in Indien, die fast einen Monat in Anspruch nahmen. Wahnsinn.

Wahnsinn ist, angesichts dieser Riesenmühe, die sich viele Leute mit der Demokratie geben, nicht wählen zu gehen. Falls Ihr also schwankt, ob es sich heute lohnt, wählen zu gehen oder lieber daheim zu bleiben, dann lest doch mal, was wir vom Daran-geht-die-Welt-zugrunde-Team über das Wählen zur Europawahl denken:

Warum Max wählen geht:

Warum soll man eigentlich zur Wahl gehen? Es ändert ja doch nichts. Vielen Menschen scheint die Motivation zum Wählen gehen zu fehlen. Wer kann es solchen Leuten auch verübeln? Wählen gehen fühlt sich dieser Tage wie Lotto-Spielen an. Man investiert, im Fall der Wahl Zeit, Vertrauen und mal eben so die nächsten vier Jahre der BRD, in eine Partei und ist sich letztlich doch nicht sicher, was schließlich umgesetzt wird. Unterschiede zwischen CDU/CSU und SPD schwinden in der öffentlichen Wahrnehmung dank der großen Koalition sichtlich und überall schießen Parteien aus dem Boden, die meinen dass eine Grundidee genug sei, um Politik betreiben zu können.

GryphusR/flickr.com

democracy_2_GryphusRMan betrachte die Piraten-Partei, die mit einer faszinierenden Konsequenz am eigenen Stuhlbein sägt. Eine Partei, die unter anderem für moderne und sichere Kommunikation stehen möchte, versagt regelmäßig dabei, untereinander zu kommunizieren. Ständig tanzt jemand aus der Reihe und aus den Rittern des Gemeinguts werden plötzlich auch ganz banale Copyright-Verfechter. Im Abgeordnetenhaus des Berliner Senats brillierte so mancher Mittzwanziger damit, dass er Fäkalausdrücke aus seinem Mund rieseln ließ. All diese nicht kongruenten Aktionen haben dieser viel versprechenden Partei in den letzten Jahren viel Boden genommen. Sie wollen es vielleicht nicht hören, doch die Piraten sind längst nicht mehr so authentisch in der öffentlichen Wahrnehmung, wie sie sich gerne sähen.

Gleiches gilt für die Spaßfront der PARTEI, die es in letzter Konsequenz nur zu geben scheint, um die Idiotie unseres Wahlsystems darzustellen. Wenn die PARTEI jedoch wirklich glaubt, dass deutsche Wähler so dumm sind, dass sie jetzt dauerhaft an ihre Inkompetenz erinnert werden müssen, dann muss man sich nicht wundern, wenn diese blockieren und nicht wählen.

Aber an wem liegt es denn, das wir nicht wissen, wen wir wählen sollen? An den Anderen! Das liegt immer nur an den Anderen! Wie viele von euch informieren sich regelmäßig über die Partei-Programme? Wer von euch pflegt Kontakt zu den örtlichen Vertretern diverser Parteien? Kennt jemand von euch mehr als die ersten drei Artikel des Grundgesetzes? Sind sich alle bewusst, dass „christliche Werte“ missbraucht werden, um die Gleichstellung von Homo- und Transsexuellen, Frauen und weiteren Minoritäten zu untergraben?

Und das Argument, dass die eigene Stimme nicht zählt, ist in Anbetracht von Wahlbeteiligungen der letzte Witz! 45 Prozent aller möglichen Wähler haben sich zum Beispiel an Triers letzter Kommunalwahl beteiligt. Über die Hälfte der Stadt hat also keinerlei Ahnung von Politik. Das kann man anders nicht sagen. Würden die Leute sich tatsächlich darum scheren, wer an die Macht kommt, dann würden sie zumindest ungültig wählen und somit ihren Unmut kundtun. Nicht zur Wahl zu gehen ist kein Symbol, sondern es ist die Ablehnung von politischem Mitspracherecht. Allein die Nicht-Wähler der letzten Wahl in Trier hätten im Alleingang eine Mehrheit wählen können. Das muss man sich vor Augen führen!

Abschließend will ich darauf hinweisen, dass die Europawahl nicht minder nah an uns heran geht. Ich weiß nicht, wann einige das letzte Mal aus dem Fenster geguckt haben, doch Farbfernsehen hat sich durchgesetzt und das Commonwealth war einmal. Dieser Prozess namens Globalisierung findet jedoch tatsächlich statt und Deutschland kann nicht einfach nur als Deutschland bestehen. Wenn ihr allein im Supermarkt mal die Augen aufmacht und schaut, wo all diese Produkte herkommen, dann sollte euch auffallen, dass Deutschland nicht nur von sich selbst lebt. Die EU ist ein Miteinander und nur ein Sub-Verbund unter dieser gesamten Welt. Und wenn ihr nicht wollt, dass wir weiterhin südeuropäische Staaten aus der Grütze reiten müssen, dann informiert euch gefälligst und helft eine vernünftige Europapolitik zu kreieren!

Warum Anni wählen geht:

Warum gehst du wählen? Wenn der Durchschnittsmensch auf diese Frage antwortet, dann müsste sich die ehrliche Antwort irgendwo zwischen „weil man* das halt macht“ und „weil das meine Bürgerpflicht ist“ finden. Das impliziert auch, dass die meisten Informationen, die man* sich im Vorfeld besorgt, im Konsum der Wahlplakate begründet liegen. Denn sind wir (wieder) ehrlich, dann weiß man* ja so ungefähr wo die Grünen, die SPD, die CDU und wie sie alle heißen stehen.

Afagen/flickr.com

democracy_1_afagenLeider gilt für Wahlwerbung das Gleiche, was für jede andere Art von Bewerbung gilt – sie sagt uns nichts, was wir nicht schon wissen. Es ist nicht Inhalt, der hier transportiert wird, es ist ein Image.

Auch wenn ich mich selber in manchen Zeiten in diese Gruppe der „Durchschnittsmenschen“ zählen muss, sei es gesagt, dass diese Einstellung wahrlich nicht löblich ist. Vor allem in Zeiten, in denen durchaus neue Parteien am Horizont aufgetaucht sind. Manch eine dieser Vereinigungen hat Potenzial, doch nicht wenige sind in erster Linie gefährlich. Wer Angst und Hass in der Gesellschaft schürt, um selber eine Machtposition zu erlangen, geht definitiv den falschen Weg.

Es ist ohne Zweifel ein ehrenvolles Ziel, seine Stimme abzugeben um solche Kräfte von (zu viel) Einfluss abzuhalten. Leider zeigt die Wahlbeteiligung der letzten Jahrzehnte aber, dass diese Motivation oft nur bis zur Bundestagswahl reicht. Egal ob wir auf die kleinste (Kommune) oder die größte Ebene (Europa) gehen – das Privileg des Wählens scheint seine Attraktivität verloren zu haben.

Schaut man in die Geschichte, dann zeigt es sich, dass gerade hier der Hund begraben liegt. Das Private ist nicht ohne Grund politisch. Veränderung, Fortschritt und Gesellschaft beginnen immer bei jeder*m einzelnen. Gesellschaft ist letztendlich von Menschen gemacht.

Die Vergangenheit lehrt uns aber auch, dass wir froh über unser heutiges Europa sein sollten. Nicht weil es toller ist als andere Kontinente, sondern weil ein funktionierendes friedliches Europa, das Leben jedes*r einzelnen hier verbessert. Damit das so bleibt, müssen wir unsere Stimme hören lassen, in einen Dialog treten und Kompromisse eingehen.

Warum gehe ich also wählen? Weil es meine Bürgerpflicht ist. Damit Parteien wie die AfD keinen Einfluss nehmen können. Damit sich vor Ort die Dinge zum Besseren verändern und damit Europa sich weiterhin daran erinnert, dass gemeinsam besser ist als gegeneinander. Kurzum: Weil man das so macht.

Warum Johannes wählen  geht:

Noch nie in seinen 19 Lebensjahren war Mattis Koszlowski so angespannt. Schweiß tropfte ihm von der Stirn, als er angestrengt in den dunklen Tunnel blickte, an dessen schwach beleuchteter Kreuzung irgendwann ein Schemen auftauchen würde. Mattis versuchte, sich zu konzentrieren, so wie es ihm viele Male zuvor auch gelungen war. Aber irgendwas pochte da in seinem Hinterkopf. Er hatte etwas vergessen. Aber was?

Pryere/flickr.com

democarcy_3_PryereMit der Mission hatte es nichts zu tun. Er kannte die Umgebung. Wusste, dass der Tunnel zu einem quadratischen Raum führt, von dem Gänge in drei Richtungen abführen. Zusätzlich gab es eine kurzen Gang im langen Tunnelabschnitt, aber den hatte Mattis ebenfalls abgedeckt. Seine Kameraden warteten an einem Ausgang des Tunnels auf dem Balkon und schützten diesen Bereich ebenfalls. Alle Ausgänge waren abgedeckt. Gleich müsste der Kontakt kommen. Dann brauchte Mattis jedes bisschen an Denkkraft, die er hatte. Die ganze Zeit aber, schon vor Beginn der Mission, hatte er dieses nagende Gefühl. Was hatte er vergessen?

Die Stimme in seinem Ohr meldete sich: „Kontakt! Sofort schoss das Adrenalin in Mattis Körper. „Scheiße, die haben AK’s! Fuck!“ Sturmgewehre! Woher hatte der Gegner die Mittel? Es konnten nicht viele Gewehre sein, maximal eins oder zwei. Aus der Entfernung hörte Mattis die Schüsse der Pistolen und Gewehre. Er sah kurz auf seine eigene Waffe hinab. Eine Maschinenpistole, Typ MP5. Nicht spektakulär, aber vielleicht konnte ihre Feuerkraft die fehlende Wirkung wettmachen.

„Shit, uns hat es erwischt, wir sind raus!“ Mattis Kameraden waren gefallen. Nun war nur noch er übrig. Ein Mann, gegen drei oder vier Männer. Wie konnte er sich gegen sie behaupten.

Da erschien kurz ein Schemen im Tunnel. Krachend schlugen drei Kugeln in der Mauer neben ihm ein. Mattis feuerte einen kurzen Stoß aus seiner Waffe, traf aber nicht. Dann hörte er, wie etwas metallisches auf dem Steinboden aufschlug und vernahm ein leises Zischen. Sofort drehte sich Mattis vom Tunneleingang fort, hin zum Torbogen zu seiner linken. Von dort würde der Gegner kommen, der Tunnel war nur ein Ablenkungsmanöver. Tatsächlich nahm er eine Bewegung auf der Rampe, die von einer Unterführung zu einer T-Kreuzung führte, war. Er visiert an und feuerte. Treffer, aber der Gegner war nur verletzt. Gerade als Mattis ein zweites Mal zum Feuern ansetzte, hörte er das schmatzende Geräusch einer Klinge, die in sein Fleisch eindrang. „Nein!“ schoss es ihm durch den Kopf, als er zu Boden sank, seine nutzlose Waffe neben sich im staubigen Boden. Das letzte, was er hörte, war eine blecherne Stimme in seinen Ohren. „Terrorists Win“.

Mattis Koszlowski riss sich das Headset vom Kopf und schmetterte es auf die Tastatur. „Fuck!“ brüllte er. Seine Teamkollegen saßen mit verbitterten Gesichtern neben ihm. T34m Dom1n4nc3 hatte gegen Kraut’n’Strike verloren, das Preisgeld war dahin, der Clan konnte vom Turnier abreisen. Und dass auf de_dust, einer Karte, die sie stundenlang geübt hatten! „Fuck!“ wiederholte sich Mattis, diesmal leise. Sein Kollege klopfte ihm auf die Schulter. „Nächstes Mal…“ versuchte er Mattis erfolglos zu trösten.

Als Mattis Aufstand, um kurz Luft zu schnappen, hatte sich eine Menschenmenge vor einem Fernseher versammelt. Neugierig und um sich von der Niederlage abzulenken, schaute Mattis nach, was der Grund für den Auflauf war. Auf dem Fernseher liefen Nachrichten.

„… demokratischen Parteien herbe Verluste eingefahren. Die euro-skeptischen und – man muss es so sagen – rechten Parteien werden somit im neuen EU-Parlament die Mehrheit haben. Und auch die Kommunalwahlen in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen, Baden-Württemberg, in Hamburg und im Saarland liefern erschreckende Ergebnisse: Eine Koalition aus NPD und den verschiedenen Pro-Parteien haben große Teile der Rathäuser erobert. Schuld daran ist die historisch niedrige Wahlbeteiligung von durchschnittlich knapp 25 Prozent.“

Mattis kramte sein Smartphone hervor. Wie stand es um Trier? Nach kurzer Suche musste er sich zunächst setzen. Die NPD würde den nächsten Bürgermeister stellen.

Jetzt fiel ihm auch ein was er vergessen hatte. Statt an diesem Sonntag wählen zu gehen oder wenigstens Briefwahl zu beantragen, hatte er sein demokratisches Recht und seine bürgerliche Pflicht schlicht vergessen. Er war mit seinem Kollegen lieber auf ein Counter-Strike-Turnier gefahren, als Europa und seine Heimatstadt vor den neuen Faschisten zu schützen. Eine neue Nachricht erschien in seinem Feed. Eine Bombe war im Asylbewerberheim in Trier explodiert, mehrere Tote, die Feuerwehr und Polizeit waren durch einen bereits vorher ausgebrochenen Brand in einem Wahllokal in Trier-Süd beschäftigt.

Mattis schluckte, legte das Smartphone auf den Boden und legte den Kopf in die Hände. Dann hörte er wieder diese blecherne Stimme, als verfolge sie ihn über das Spiel hinaus.

Terrorists win.