Ein kleiner Blick hinter die Kulissen eures Nummer-1-Weblogs über Popkultur, Videospiele, hippes Fotographenzeug und Magengeschwüre: Als Blog mit der Tagline “Ein Blog aus, über, für und zeitweilig auch gegen Trier” haben wir natürlich einen direkten Lokalbezug. Für mich war aber klar, dass meine Beiträge diesen Lokalbezug nicht wirklich hergeben und ein Einzwängen in dieses enge Korsett Triers stand für mich damals ausser Frage und wäre ein harscher Eingriff in meine künstlerische Freiheit. Im Geiste Kasimir S. Malewitsch (über den es, sollte das mit der Filmkarriere klappen, einen coolen Agentenfilm im Leipzig der 1970er Jahre geben wird) schrieb ich also meine Texte, nur um festzustellen, dass sich Trier mehr oder weniger unabsichtlich in meine Werke geschlichen hat. Und auch heute, siehe Überschrift, komme ich nicht um unseren Wohnort herum.

roman trier_pilar torresIch wollte auf ein Bild der Porta verzichten. Stattdessen: ein Modell des römischen Trier! By Pilar Torres, via Flickr.com

Schließlich ist die Moselmetropole Trier nicht nur die Geburtsstadt Karl Marx’, sondern auch Ort einer künstlerischen Open-Air-Installation von 500 rotschattierten Karl-Marx-Kunststofffiguren, aufgestellt quasi vor meiner Tür bei der Porta Nigra. Nun kann mensch über Kunst extrem gut, wenn auch sinnlos und am Ende meist mit viel Geschrei verbunden, streiten, aber für mich sind die Figuren ein weiterer Beweis dafür, wie verkrampft das Verhältnis Deutschlands zu Karl Marx ist. Abgesehen davon erinnern die Figuren frappierend an Gartenzwerge, wie auch Spiegel Online herausfand. Verkrampft deshalb, weil beispielsweise Trier viel Geld mit Karl Marx macht und eine Straße nach ihm benennt, letztere aber  im Rotlicht-Viertel liegt und mensch zwar das Geburtshaus von K. M. finanziell fördert, im eigentlich wichtigeren Wohnhaus aber einen Ein-Euro-Shop einquartiert hat. Und nichts zeugt eigentlich von einer größeren Paradoxität als die Tatsache, dass ein solches Fanal der kapitalistischen Logik (ein Produkt zum kleinstmöglichen Preis mit der geringsten Qualität herstellen und zum höchstmöglichen Preis verkaufen) gerade im Wohnhaus desjenigen liegt, welcher ebendiese Logik und ihre Implikationen dekonstruiert hat.

Am schwersten tun sich natürlich konservative Kräfte mit Karl Marx, rütteln dessen Theorien doch an deren Grundüberzeugung, dass unser Wirtschaftssystem im Großen und Ganzen gerecht sei und uns überwiegend Wohlstand beschere. Feiert mensch dann auch noch besagten deutschen Denker und Philosophen, so können diese Konservativen nicht umhin, auch Kritik an der Figur zu üben. Kritik an Marx und seinen Ideen zu üben ist mehr als legitim, sogar sehr nötig. Wenn sie aber so extrem platt daherkommt wie von Bernhard Kaster und Ulrich Dempfle (beide CDU Trier), dann möchte ich mich spontan erbrechen. Die beiden verweisen darauf, dass in Marx’ Namen viel Unheil verrichtet worden sei. Dankeschön. Mit demselben Argument können wir dann bitteschön auch das Christentum verbieten und alle Muslime ausweisen, soviel Unheil wie im Namen ihrer jeweiligen Religion (Kreuzzüge, Attentate, Massaker an sogenannten „Heiden“) verübt wurde (ein Vorwurf, den sich übrigens alle Religionen machen müssen). Vielleicht sollte man auch darauf hinweisen, dass in den letzten zwölf Jahren zwei Kriege explizit im Namen der Demokratie und Freiheit geführt wurden. Wie hoch ist da der Bodycount? Sollten wir deshalb besser nicht zu viel Gutes über die Demokratie sagen? Immerhin wurde in ihrem Namen auch viel Unheil angerichtet.

occupy_sterneckZum Beispiel ziviler Ungehorsam, welcher uns auf unbequeme Art und Weise zu sagen versucht: Es ist vielleicht doch nicht alles gut. By Sterneck, via Flickr.com

Zudem: Was kann die Person von Karl Marx dafür, wenn bestimmte Leute zu blöd oder verblendet waren, um seine Theorien richtig zu verstehen oder überhaupt vernünftig zu lesen? Aber der Vorwurf an Marx, implizit Schuld an jeglicher Form von Autokratie in Russland, China, der DDR oder sonstwo verantwortlich zu sein, wird auf irgendeine Art, siehe oben, ja immer wieder gebracht. Im Zusammenhang mit der Eröffnung der Installation entblödeten sich die JuLis, auch sonst ja Meister*innen in herrlich unpassender Öffentlichkeitsarbeit, eine “Online-Kampagne” zu starten, welche mit Plakaten von autoritären Herrschern wie Stalin oder Mao, inklusive der durch sie verursachten Toten, so etwas wie die dunkle Seite des Marxismus zeigen wollen. Aber diese Penner*innen sagen selbst, dass dort Personen gezeigt werden, die Karl Marx (ZITAT!) “wissentlich oder willentlich missinterpretiert und zum eigenen Zwecke instrumentalisiert” (ZITAT ENDE!) haben. Und wollen somit gleichzeitig gegen die “Glorifizierung” von Karl Marx vorgehen. JA WIE BLÖD SEID IHR DENN! Es ist doch immer die selbe Scheiße mit den selben Kackargumenten (s. o.), welche von den Restopfern des Kalten Krieges da herbeigeschleift wird. An eine Stringenz der Sachargumente wird sich da nicht gehalten, sondern gleich mit den “Opfern  des Marxismus” gewunken. Aber wie verdammt pietätlos es ist, einen Bodycount Sozialismus vs. Kapitalismus oder ähnliches aufzumachen, davon haben diese Leute (alle, welche solche Argumente bringen!) keine Ahnung. Geschweige denn von einer ordentlichen Diskussion. MANN EY!

Wann legt (West-)Deutschland endlich seine antikommunistische Konditionierung, die es noch aus Zeiten des Kalten Krieges mit sich herumschleppt, ab? Wann erkennen die Menschen hier, dass Kommunismus eine mehr oder weniger gleichberechtigte politische Ansicht ist zu Liberalismus, Sozialdemokratie, grüner Demokratie und allen sonstigen Schattierungen, welche die pluralistische Politik so hergibt? Ich selbst würde nie sagen, dass ich Kommunist bin, auch weil ich solche Schubladen für veraltet und obendrein gefährlich halte. Hier aber geht es um Toleranz von anderen Meinungen, um Diskussion und Austausch, um eine Vielfalt von Ideen, welche unser Leben, politisch wie zivil, im Grunde bereichern. Außer Nazis. Die sind scheiße.

Ganz klar: Ich will keine Menschenrechtsverletzung von kommunistischen Regimen verteidigen (auch wenn ich mich dazu hinreißen lassen muss festzuhalten, dass diese Regime selten irgendwas ernsthaft mit dem eigentlichen Kommunismus zu tun haben). Der Zweck, so gut er auch sein mag, heiligt nie die Mittel, wenn die Mittel selbst nicht „gut“ sind, also Menschen schaden. Da hält Mensch es am einfachsten mit dem guten alten Immanuel Kant, der in seiner “Metaphysik der Sitten” folgenden alternativen kategorischen Imperativ vorschlug:

“Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als auch in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.” – Menschheitszweckformel, in: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), BA 67

Nach diesem großen Klugschiss wieder zurück zum Thema. Statt sich beständig vor Marx zu fürchten, sollte mensch viel eher dazu übergehen, ein positives Verhältnis zu diesem Mann zu entwickeln. Immerhin sind seine Überlegungen mehr oder weniger der Ursprung so wichtiger politischer Gruppen wie der Arbeiterbewegung, ohne die der auch von Konservativen so hoch verteidigte Sozialstaat nie das Licht der politischen Bühne betreten hätte. Zu Schade, dass das Licht des Sozialstaats heutzutage nicht mehr so hell scheint wie noch vor knapp sechzig Jahren (um eine westdeutsche Sicht einzunehmen, denn für viele Ostdeutsche stellte sich nie Frage nach einem Sozialstaat: der war einfach Fakt). Besonders in Zeiten der politisch erklärten „Alternativlosigkeit“ von Entscheidungen sollten wir auf Marx’ Analyse unseres Wirtschaftssystems immer wieder zurückgreifen. Sie ist quasi das Gewissen, welches uns immer wieder fragt, ob wir den Scheiß, den wir da kaufen, wirklich brauchen oder ob dieser nicht wieder nur ein Fetischobjekt für unser gesellschaftliches Sein darstellt.

Marx_oldEs ist mir herzlich egal, ob so ein Bart nun ein Fetischobjekt der kapitalistischen Marktlogik ist oder nicht: Ich will auch so einen Rauschebart! Via Wikimedia Commons

Weil Marx bis heute wichtig ist, wichtiger als Goethe und Schiller, wichtiger als Bach und Beethoven, wichtiger als Bismarck und Adenauer, genau deswegen sollten wir uns mehr mit Marx auseinander setzen und zu dieser Person und seinem Denken eine Meinung entwickeln, anstatt eine unbegründete, weil gesellschaftlich geförderte Angst empfinden. Mensch muss Marx ja nicht mögen, aber mensch sollte wenigstens wissen, was Marx so geschrieben hat. Ob Karl-Marx-Gartenzwerge dazu führen, da habe ich allerdings meine Zweifel dran.